Schon rein intuitiv scheint es bei diesem Spiel eine optimale Setzstrategie zu geben. Ist der riskierte Anteil zu hoch, läuft man Gefahr, bei einer Serie von Zahl-Würfen so viel Geld zu verlieren, dass man sich davon nicht mehr erholen kann. Ist der riskierte Anteil zu gering, macht man dagegen nicht das Beste aus der zeitlich begrenzten Gelegenheit, die Wetten mit einem statistischen Vorteil abschließen zu können.
Die Kelly-Formel
Die Lösung des Setzproblems ist die klassische Kelly-Formel, 2 * p – 1, bei der p die Gewinnwahrscheinlichkeit darstellt. Sie ist viel einfacher als so ziemlich jede andere Formel im Finanzbereich, aber dennoch den meisten Marktteilnehmern unbekannt. So gaben nur fünf der 61 Teilnehmer an, schon einmal davon gehört zu haben. Und das, obwohl John Kelly die Formel bereits im Jahr 1955 entwickelte und sie im Finanzbereich offensichtlich relevant ist.
Die Formel berechnet den optimalen, konstanten Anteil des verfügbaren Kapitals, der einzusetzen ist, um das Vermögenswachstum in Spielen mit statistisch vorteilhaften Quoten zu maximieren. Für das Beispiel im Paper heißt das: Im Idealfall sollten die Teilnehmer bei jedem Münzwurf 2 * 0,6 – 1 = 20 Prozent des verfügbaren Kapitals auf Kopf setzen. Beim ersten Wurf wären das 5 Dollar (20 Prozent von 25 Dollar). Ist es ein Gewinn, sind beim nächsten Wurf 6 Dollar zu setzen (20 Prozent von 30 Dollar). Bei einem Verlust wären es dagegen 4 Dollar (20 Prozent von 20 Dollar). Und so weiter.
Ein Spieler, der nicht überlegen muss und schnell ist, könnte alle sechs Sekunden einen Münzwurf schaffen, also in den 30 Minuten insgesamt 300 Durchläufe absolvieren (im Durchschnitt schafften die Teilnehmer dagegen nur 120). Die Autoren rechnen vor, dass der erwartete Gewinn jedes Wurfs bei Setzen des optimalen Kelly-Anteils vier Prozent beträgt, exemplarisch für den ersten Wurf: 60 Prozent * 5 Dollar – 40 Prozent * 5 Dollar = 1 Dollar = 4 Prozent von 25 Dollar. Bei 300 Würfen würde das einem Erwartungswert von 25 * 1,04^300 = 3.220.637 Dollar entsprechen. Daran wird auch klar, weshalb die Autoren bei ihrem Experiment sicherheitshalber einen Maximalbetrag vorsehen mussten.
Interviews im Anschluss an das Experiment ergaben, dass so mancher Teilnehmer statt des konstanten prozentualen Einsatzes eine Verdopplungs- oder Martingale-Strategie für optimal hielt, bei der nach Verlusten die Höhe der Einsätze erhöht wird. Ein anderer beliebter Ansatz waren kleine und konstante Einsätze, offensichtlich um den Risk of Ruin zu verringern und die Wahrscheinlichkeit, im Gewinn zu enden, zu maximieren – was allerdings erheblich auf Kosten der Gewinnhöhe ging.
Fazit
Die Autoren des Papers schreiben, dass sie einige schlecht durchdachte Wettstrategien bei den Teilnehmern erwartet hatten. Dass jedoch 28 Prozent fast oder ganz Pleite gingen, obwohl sie einen klaren statistischen Vorteil hatten, war nicht abzusehen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die meisten Teilnehmer eine formelle Ausbildung im Finanzbereich hatten.
Es ist ernüchternd, dass nur wenige Teilnehmer zuvor von der Kelly-Formel gehört hatten, aber auch, dass die meisten Teilnehmer offenbar nicht über das analytische Know-How verfügten, um selbst zur Schlussfolgerung zu gelangen, dass ein prozentual konstanter Wetteinsatz optimal sein sollte. Ohne einen solchen, rationalen Rahmen waren Tür und Tor für alle möglichen Verhaltenseffekte geöffnet, die im Experiment beobachtet wurden: Kontrollillusion, Anchoring, überhöhte Einsätze, Sunk Cost Bias und Gambler's Fallacy.
Und es stellt sich noch eine Frage: Wenn ein hoher Anteil quantitativ geschulter und im Finanzbereich ausgebildeter Menschen so große Schwierigkeiten hat, ein einfaches Spiel mit einer vorteilhaften Münze zu gewinnen – was heißt das dann für die Aussichten der breiten Masse der Bevölkerung, ihre Ersparnisse in der weitaus komplexeren Realität langfristig sinnvoll anzulegen?