Die Aktienmärkte waren schon immer ein spannendes Feld für Theorien und Analysen jeglicher Art. Neben zahlreichen akademischen Modellen gibt es auch einfache, praktische Beobachtungen, die immer wieder für Erstaunen sorgen. Der Turn of the Month (TOM)-Effekt gehört definitiv dazu. Erstmals wurde er Mitte der 1970er Jahre in dem Buch „Stock Market Logic“ vorgestellt. Norman G. Fosback untersuchte darin die Performance des US-Aktienmarktes am letzten Handelstag eines Monats und an den ersten vier Handelstagen des jeweils nächsten Monats. Das Ergebnis seiner Analyse, die die Periode zwischen 1928 bis 1975 umfasste, war in der Tat sensationell:
US-Aktienmarkt 1928-1975 / letzter Handelstag bis 4. Tag des Folgemonats
Ein Investor, der 10 000 Dollar ausschließlich an jenen fünf Tagen um den Monatswechsel herum in Aktien und in der restlichen Zeit sicher verzinst angelegt hatte, steigerte sein Kapital auf beträchtliche 572 020 Dollar
Derjenige, der den gleichen Anlagebetrag jeweils außerhalb dieser fünf Handelstage am Aktienmarkt angelegt hatte, verlor den Großteil seines Vermögens, welches am Ende nur noch 899 Dollar betrug
Kann man den TOM-Effekt wissenschaftlich nachweisen?
Dieses erstaunliche Ergebnis rief in den letzten Jahren zahlreiche Wissenschaftler auf den Plan, die dem TOM Effekt noch genauer auf den Zahn fühlen wollten. Bereits im Jahr 1988 bestätigte eine Studie von Josef Iakonishok und Seymour Smidt, dass der TOM-Effekt an den US-Aktienmärkten (Basis: Dow Jones Industrials) zwischen 1897 und 1986 durchgängig zu beobachten war. Als Zeitraum für den Monatswechsel wurden der letzte Handelstag des „alten“ Monats sowie die ersten drei Tage des „neuen“ Monats definiert. Das Ergebnis fiel deutlich aus: Der durchschnittliche Ertrag an diesen vier Handelstagen betrug 0,473 Prozent, während der durchschnittliche Monat nur eine Rendite von 0,349 Prozent erwirtschaftete.
Dass der TOM-Effekt auch nach 1986 zu beobachten ist, belegen die Forscher Xu und McConnell in ihrer Studie „Equity returns at the turn of the month“ aus dem Jahr 2006 [1]. Das Forscher-Duo legte hier die gleichen Parameter bei der Berechnung der Performance zugrunde, sodass die Ergebnisse vergleichbar sind. Bild 1 zeigt eindrucksvoll, dass auch nach 1986 der Großteil der US-Aktienmarktrenditen tatsächlich um den Monatswechsel herum erzielt wurde. Dies gilt übrigens auch bei Nichtberücksichtigung extremer Ausnahmefälle.
Spielen die Region und die Marktkapitalisierung eine Rolle?
Eine andere Studie zum TOM-Effekt von Shamman Ramsundhar wurde im Jahr 2008 verfasst. Ramsundhar untersuchte hierfür Kurshistorien im Zeitraum von 1963 bis 2008 auch im Hinblick auf mögliche Unterschiede zwischen Small Caps und Large Caps. Die wichtigsten Ergebnisse lauten:
US-Aktienmarkt 1963-2008
Zwischen 1963 und 1981 lag die durchschnittliche Rendite um den Monatswechsel herum bei 0,108 Prozent (Large Caps) beziehungsweise 0,172 Prozent (Small Caps)
Zwischen 1982 und 2008 lag die durchschnittliche Rendite um den Monatswechsel herum bei 0,112 Prozent (Large Caps) beziehungsweise 0,151 Prozent (Small Caps)
Über den gesamten untersuchten Zeitraum hinweg lag die TOM-Rendite durchschnittlich bei 0,11 Prozent (Large Caps) beziehungsweise 0,16 Prozent (Small Caps)
Die durchschnittlichen Renditen für die restlichen Handelstage lagen deutlich darunter – sowohl für Small Caps als auch für Large Caps
Auch im Hinblick auf mögliche regionale Unterschiede ist der TOM-Effekt robust: Eine Analyse, bei der insgesamt 34 Länderindizes im Zeitraum 1969 bis 1990 untersucht wurden, zeigt, dass dieser Kalendereffekt – wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt – ein globales Phänomen ist und nicht nur auf die US-Aktienmärkte begrenzt ist. Bild 2 zeigt die durchschnittlichen Tagesrenditen ausgewählter Länder und belegt eindrucksvoll, wie stark der TOM-Effekt teilweise ausfällt.
Erklärungsansätze überzeugen nicht
Bei der Beschäftigung mit dem TOM-Effekt stellt sich früher oder später die Frage nach den Ursachen, die solch eine Kursanomalie erklären könnten. In der wissenschaftlichen Literatur kursieren diesbezüglich mehrere Theorien. Der erste Erklärungsansatz geht davon aus, dass die Zahlung von Löhnen, Gehältern, Zinsen sowie Dividenden und anderen Einkommensarten am Monatsende dazu führt, dass viele Marktteilnehmer diese Mittel um den Monatswechsel herum anlegen und auf diese Weise für über durchschnittliche Renditen in dieser Periode sorgen. Das Forscher-Duo McConnell and Xu ging dieser Hypothese im Jahr 2008 nach und kam zu folgendem Ergebnis: Erstens konnte kein Anstieg des Handelsvolumens an der NYSE während des Monatswechsels nachgewiesen werden – im Gegenteil: das Volumen war sogar etwas niedriger als im restlichen Teil eines Monats. Darüber hinaus erwies sich diese Hypothese auch bei der Analyse der Zu- und Abflüsse in Aktienfonds als nicht stichhaltig, schließlich konnte kein besonderes Muster um den Monatswechsel herum identifiziert werden. Zwei weitere Aspekte – die Größe der Marktkapitalisierung und die Volatilität – sprechen ebenfalls gegen die Vermutung. So tritt der TOM-Effekt sowohl bei Large Caps als auch bei Small Caps auf, gleichzeitig ist die Volatilität um den Monatswechsel herum nicht höher, sondern sogar etwas niedriger.
Wird die Kursanomalie kürzer bzw. ganz verschwinden?
Eine Studie der Universität Valencia [2] untersuchte für den Zeitraum 1991 bis 2008 insgesamt 188 zyklische Kursanomalien für den S&P 500, DAX und Nikkei 225-Terminkontrakt, darunter auch den Turn-of-the-Month-Effekt. Hierbei wurde mittels eines Bootstrap- und Monte Carlos-Verfahrens geprüft, ob das jeweilige Muster statistische und ökonomische (d.h. mit Berücksichtigung von Handelskosten) Signifikanz besitzt. Der einzige Kalendereffekt, der in beiden untersuchten Zeiträumen statistisch signifikant herausstellte, war der „first trading of the month“ beim S&P 500 Future.
Damit zeigt sich, dass sich die Kursanomalie zu einem gewissen Grad abgeschwächt hat, genauer gesagt eine kürzere Dauer aufweist: aus mehreren Tagen, die überdurchschnittliche Returns bringen, ist nur noch ein Tag übriggeblieben. Diese Beobachtung ist plausibel, stimmt sie doch mit der Theorie überein, wonach eine bestimmte Kursanomalie mit zunehmender Markteffizienz mit der Zeit an Wirkung verliert oder gänzlich verschwindet.
Fazit
Halten wir fest: An den Aktienmärkten lassen sich seit Jahrzehnten in den Tagen um den Monatswechsel herum überdurchschnittliche Renditen beobachten. Wissenschaftlichen Studien zufolge handelt es sich dabei um ein statistisch signifikantes und zugleich globales Phänomen. Entgegen der Annahme, dass sich solch eine immerhin seit Jahrzehnten zu beobachtende Kursanomalie nach einer bestimmten Zeit wieder auflösen würde, existiert dieser Kalendereffekt auch heute noch – wenn auch in abgeschwächter Form. Für die Ursachen, die hinter diesem Effekt stehen könnten, gibt es in der Literatur zwar zahlreiche Erklärungsansätze, einer empirischen Untersuchung halten diese allerdings nicht stand. Das Rätsel ist und bleibt also ungelöst.