Artikel von Alfonso Peccatiello, Gründer und Geschäftsführer von TheMacroCompass.com
Der Anleihemarkt - makellose Disinflation
Der Anleihemarkt rechnet mit Zinssenkungen um 200 Basispunkte, also lässt sich daraus schlussfolgern, dass der Anleihemarkt eine Rezession mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit erwartet. Nein, nicht wirklich. Das Basisszenario des Anleihemarktes ist eine makellose Disinflation, und ich werde Ihnen zeigen, warum. Der Großteil der Verwirrung rührt von einem allzu simplen Ansatz her. In der durchschnittlichen Rezession der letzten 30 Jahre senkte die Fed die Zinsen um 350 Basispunkte über einen Zeitraum von 18 Monaten. Der Anleihemarkt rechnet mit Zinssenkungen im Wert von 200 Basispunkten zwischen Juni 2023 und Dezember 2024, was folgich bedeuten muss, dass der Basisfall des Anleihemarktes (60 %) eine Rezession ist.
Diese vereinfachende Analyse ist irreführend, weil sie folgende Faktoren ausblendet:
- der endgültigen Landepunkt für die Fed Funds und die realen Renditen
- den Credit-Markt
- die Tails
Beginnen wir mit einer klaren Grafik. Die Fed Funds werden so eingepreist, dass sie im Sommer einen Höchststand von ~5% erreichen, anschließend wird eine Senkung um 200 Basispunkte erwartet. Dennoch werden die Fed Funds nie (!) unter den vernünftigen Schätzungen des neutralen Zinssatzes (2,25-2,75 % nominal) in den nächsten 2-5 Jahren eingepreist.
Dies wäre das erste Mal, dass sich die USA in einer Rezession befinden und die Fed die Zinsen nicht unter den neutralen Wert senkt - das ergibt doch keinen Sinn, oder? In der Tat, denn das Basisszenario des Anleihemarktes ist keine Rezession: Es ist eine makellose Disinflation. Dies zeigt sich auch an der erwarteten Entwicklung der realen Renditen, bei der die Erwartungen für die Fed Funds (siehe oben) mit den Inflationserwartungen verglichen werden. Bei jeder Rezession oder Wachstumsverlangsamung in den letzten 15 Jahren lagen die realen 2-Jahres-Zinsen der Fed Funds zwischen -100 und -200 Basispunkten. Das bedeutet, dass der Anleihemarkt die Fed auffordert, angesichts des schwachen Wachstums sehr entgegenkommend zu sein. Diesmal werden die vom Markt geschätzten realen US-Renditen im Jahr 2025 als... positiv eingeschätzt?!
Auch das passt nicht zu dem Mantra "Der Anleihemarkt preist eine Rezession ein". Eine schnelle Verlangsamung der Inflation auf 2,5% und eine Senkung der Zinssätze durch die Fed auf ein neutrales Niveau (und niemals darunter) sind keine rezessiven Preise. Es ist ein makelloser Disinflationspreis. Der Credit-Markt stimmt dem voll und ganz zu: Eine Rezession ist nicht das Basisszenario. Die Renditenaufschläge für US-Hochzinsanleihen liegen nur knapp über 400 Basispunkten, also unter dem 20-Jahres-Durchschnitt und weit entfernt vom Medianwert für Rezessionsphasen (1000 Basispunkte). Darüber hinaus ist der Ausfallzyklus als sehr mild eingepreist, und die Absicherung auf dem breiten Credit-Markt ist nicht so teuer, wie es bei einer eingepreisten Rezession zu erwarten wäre.
Betrachten wir nun die Tails: Eine Versicherung ist sehr teuer, wenn das Haus bereits brennt. Gegen welche Tail-Risiken versuchen sich die Märkte also bis Dezember 2024 zu versichern: eine Rezession mit einer Zinssenkung der Fed unter den neutralen Wert (z. B. auf 1,5% - orangefarbene Linie) oder eine längerfristige Erhöhung (z. B. Fed Funds über 4% - blaue Linie)? Bei einem 2-Jahres-Horizont und unter Berücksichtigung von Optionswahrscheinlichkeiten ist die Versicherung, dass die Fed die Zinsen längerfristig höher hält, teurer als die Versicherung, dass die Fed die Zinsen in einem Ausmaß senkt, das einer Rezession entspricht. Das Basisszenario des Anleihemarktes ist eine makellose Disinflation, keine Rezession.
Ein entspannter Credit-Markt, ein rascher Rückgang der Inflation auf 2% und eine Zinssenkung der Fed auf den neutralen Bereich, reale Terminzinssätze, die immer noch im positiven Bereich erwartet werden und das Fehlen eines aggressiven Versicherungsangebots für rezessive Einschnitte deuten alle in diese Richtung.
Rezession: 20-25 % Wahrscheinlichkeit
Disinflation: 45-50% Wahrscheinlichkeit
Wachstumsregime/höher und länger: 30% Wahrscheinlichkeit
Der Aktienmarkt - Soft Landing
Das Basisszenario des Aktienmarktes hat sich schnell in Richtung eines Soft Landings verschoben. Dabei sind drei Hauptaspekte zu berücksichtigen:
- Gewinnerwartungen
- Market Internals der Aktienmärkte
- Tails
Kommen wir zunächst zu den eher rezessiven Elementen: Die Analysten stellen fest, dass ihre EPS-Schätzungen für 2023 möglicherweise zu optimistisch waren. Das Tempo und der Umfang der negativen Revisionen stehen im Einklang mit anderen rezessiven Episoden. Außerdem werden in stark zyklischen Sektoren wie der Halbleiterindustrie die EPS-Schätzungen um 30% gekürzt, was fast einer Rezession gleichkommt.
Der EPS-Konsens für 2023 von 225 $ impliziert jedoch ein Gewinnwachstum von etwa 4% in diesem Jahr. In Zeiten der Rezession beträgt der durchschnittliche Rückgang des Gewinns pro Aktie dagegen -30%.
Die Wiedereröffnung Chinas spielt offensichtlich eine Rolle bei der Ankurbelung der zyklischen Wachstumserwartungen in der ganzen Welt. Länder mit engen Handelsbeziehungen zu China wie Deutschland oder Australien haben risikobereinigt eine Outperformance erzielt. Innerhalb der Sektoren waren US-Halbleiter und High-Beta-Werte die Lieblinge des Marktes, während defensive Sektoren wie Grundnahrungsmittel und Versorger zurückblieben. Die Signale für eine sanfte Landung werden stärker, unterstützt durch die Wiedereröffnung in China.
Was ist mit den Tails? Wären die Märkte wirklich besorgt über eine Gewinnrezession und eine hartnäckig aufwärtsstrebende US-Notenbank, würde man ein gewisses Angebot für weit aus dem Geld liegende Put-Optionen erwarten. Doch angesichts des starken "Fed-Put"-Gedächtnisses und der Erwartung schwacher, aber nicht rezessiver Erträge ist die Absicherung im S&P 500 so günstig wie seit zwei Jahren nicht mehr. Die implizite Volatilität von 20% aus dem Geld liegenden SPX-Puts mit 3-monatigem Verfall wird im niedrigsten 15. Perzentil der 2-Jahres-Historie (siehe Grafik unten) und im niedrigsten 40. Perzentil der 5-Jahres-Historie gehandelt.
Der Aktienmarkt geht davon aus, dass eine breite Rezession vermieden wird, da der Wachstumsrückgang (auch dank China) die Talsohle erreicht und der Höhepunkt der straffen Geldpolitik der Fed hinter uns liegt. Die Gewinne werden zwar nach unten korrigiert, aber es wird erwartet, dass der Gewinn pro Aktie weiter steigt, was nicht mit einer Rezession vereinbar ist. Ein zyklischer Wachstumsschub wird zunehmend eingepreist, und zyklische Sektoren und Länder schneiden besser ab als defensive. Und schließlich zeigt der Optionsmarkt, dass die Anleger wenig bis gar keinen Appetit haben, sich in großem Umfang gegen eine Abwärtsbewegung abzusichern.
Rezession: 15-20% Wahrscheinlichkeit
Soft Landing: 60-70% Wahrscheinlichkeit
Wachstumsregime: 15-20% Wahrscheinlichkeit
Schlussfolgerungen
Weder die Anleihen- noch die Aktienmärkte bewerten eine Rezession als ein sehr wahrscheinliches Szenario. Das Basisszenario ist vielmehr eine makellose Disinflationsepisode, die zu einer Periode eines unter dem Trend liegenden Wachstums führt. Wie können Anleger diese eher binären makroökonomischen Aussichten meistern, bei denen eine Anziehungskraft (Verlangsamung des nominalen Wachstums) einer zyklischen Schubkraft (Wiedereröffnung Chinas, die die Wachstumserwartungen erhöht) gegenübersteht? Die drei besten Praktiken sind:
- Verlassen Sie sich auf einen datengesteuerten Makroprozess und bleiben Sie nicht in einem Narrativ stecken, wenn die Daten es nicht bestätigen
- Nutzen Sie Episoden extremer Marktüberzeugung in Bezug auf das Vorherrschen der Pull- oder Push-Dynamik, um Makrochancen zu nutzen
- Suchen Sie nach Allokationen in Anlagen, die bei beiden Ergebnissen einen positiven Erwartungswert haben, oder nach Engagements in idiosynkratischen Anlageklassen, deren Renditeprofil nicht allein davon abhängt, ob dieses binäre Makroergebnis richtig ist
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