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30
11
2021

Warum Anleger 235 Milliarden durch aktives Management verlieren. Interview mit Prof. Moshe Levy.

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Moshe Levy ist Professor an der Jerusalem School of Business Administration. In seinem aktuellen Paper „The Deadweight Loss of Active Management“ kommt er zu dem Schluss, dass aktives Management einen viel größeren Wohlfahrtsverlust verursacht, als bisher angenommen wurde: Unglaubliche 235 Milliarden US-Dollar im Jahr allein in den USA. Wir sprechen mit Moshe Levy über sein erstaunliches Forschungsergebnis.

Beginnen wir mit etwas, das Sie bereits in früheren Studien beschrieben haben: Warum ist Alpha eine schlechte Leitlinie zur Portfoliooptimierung?

Levy: Anleger interessieren sich für die erwartete Rendite und das Risiko ihres gesamten Portfolios, was durch die Sharpe Ratio erfasst wird. Das Alpha gegenüber einer Benchmark misst die Veränderung der Sharpe Ratio des Portfolios, die durch eine marginale Erhöhung der Gewichtung eines Vermögenswerts verursacht wird. Alpha gibt also an, welche Assets im Vergleich zur Benchmark geringfügig über- oder untergewichtet werden sollten. Aber bei größeren Änderungen, die für Anleger relevant sind, haben die optimalen Anpassungen der Gewichtungen kaum Bezug zu den Alphas oder gehen sogar in die entgegengesetzte Richtung: Es kann optimal sein, die Gewichtung eines Assets mit positivem Alpha zu verringern und umgekehrt. Anleger, die nur einen Fonds halten, sollten diesen also nach seiner Sharpe Ratio auswählen. Alpha ist für sie völlig irrelevant.

Das ist kontraintuitiv. Können Sie bitte ein Beispiel nennen?

Levy: Angenommen, Fonds A hat eine erwartete Rendite von 7%, eine Volatilität bzw. Standardabweichung von 20% und ein Beta von 0,5, und Fonds B eine erwartete Rendite von 9%, eine Standardabweichung von 20% und ein Beta von 0,9. Nehmen wir weiter an, dass die erwartete Rendite des Marktportfolios 11% beträgt, seine Standardabweichung 20% und der risikofreie Zins 1%. Das bedeutet, dass Fonds A eine Korrelation von 0,5 und Fonds B von 0,9 mit dem Markt hat. Fonds A hat also ein Alpha von 1% (Berechnung: 7 – [1 + 0,5(11 – 1)]), während Fonds B ein Alpha von –1% hat (Berechnung: 9 – [1 + 0,9(11 – 1)]).

Ein Ranking der Fonds nach ihrem Alpha führt also zur falschen Schlussfolgerung, dass Fonds A besser ist.

Levy: Ja. Die Schlussfolgerung ist deshalb falsch, weil die Sharpe Ratio von Fonds A nur 0,3 beträgt (Berechnung: [7 – 1] / 20), während Fonds B eine Sharpe Ratio von 0,4 hat (Berechnung: [9 – 1] / 20). Der Anleger ist also mit Fonds B oder einer Kombination aus Fonds B und dem risikofreien Zins besser dran. In diesem speziellen Beispiel ist es sogar noch besser, das Marktportfolio zu halten, das eine Sharpe Ratio von 0,5 hat – aber das muss nicht generell der Fall sein.

Anleger sollten also keine Alphas verwenden, um Vermögenswerte für ihr Portfolio auszuwählen?

Levy: Es ist ein großer Unterschied, ob ein Anleger sein eigenes Portfolio zusammenstellt und die einzelnen, darin aufzunehmenden Aktien auswählt, oder ob er einen Fonds kauft, der bereits gut diversifiziert ist. In beiden Fällen ist das ultimative Ziel des Anlegers die Maximierung der Sharpe Ratio seines Portfolios. Aber in der zweiten Situation ist Alpha  irrelevant. Und in einer anderen Studie habe ich zusammen mit meinem Co-Autor sogar argumentiert, dass Alpha auch in der ersten Situation praktisch irrelevant ist.

Aber Alpha ist ein beliebtes Maß für die Leistung von Fondsmanagern.

Levy: Die Attraktivität von Alpha besteht darin, dass es ein Maß für die Überrendite nach Kontrolle verschiedener systematischer Risikofaktoren liefert. Dies mag ein gutes Maß für die Fähigkeit eines Fondsmanagers sein, Überrenditen im Verhältnis zum systematischen Risiko zu erwirtschaften. Aber es ist kein relevantes Maß für Anleger, die einen Fonds auswählen und denen das Risiko des Fonds, einschließlich des unsystematischen Risikos, wichtig ist.

Warum ist die Sharpe Ratio für die meisten Anleger das relevante Performancemaß?

Levy: Im klassischen Mean-Variance-Modell, für das Harry Markowitz und William Sharpe den Nobelpreis erhielten, wird von einer normalen Renditeverteilung ausgegangen, und der Anleger kann zum risikolosen Zins Kredite aufnehmen oder vergeben. In diesem Rahmen gibt es ein einziges Aktienportfolio, das für alle Anleger optimal ist – dies ist das Portfolio mit der maximalen Sharpe Ratio, auch Tangentialportfolio genannt. Für jedes andere Portfolio gibt es eine dominierende Kombination aus risikolosem Zins und Tangentialportfolio, bei dem alle Anleger bessergestellt sind. Das gilt nicht nur für risikoscheue Anleger, sondern eigentlich für jeden, der lieber mehr als weniger Geld hat.

Was haben Sie in der neuen Studie im Einzelnen analysiert?

Levy: Die Hauptfrage, die wir stellen, ist, ob die aktive Fondsindustrie insgesamt Wert für Anleger schafft oder vernichtet, und in welchem Umfang. Das ist etwas ganz anderes als die Frage, ob Fondsmanager talentiert sind und Wert schaffen. Wenn ein Manager zum Beispiel einen jährlichen Wert von 10 Mio. USD schafft, aber 15 Mio. USD als Gebühren vereinnahmt, ist er zwar talentiert, aber der Nettoeffekt für seine Anleger ist negativ.

fonds underperformance nach sharpe ratio
Abbildung 1) 87% der aktiven Fonds underperformen
Legt man die Sharpe Ratio zugrunde, so schneiden nur 13% der aktiven US-Aktienfonds besser ab als der Markt. Wenn es eine Outperformance gibt, ist sie in der Regel moderat. Im Gegensatz dazu kann die Underperformance spektakulär sein.
Quelle: Levy, M. (2021), The Deadweight Loss of Active Management, S. 14

Sie schätzen den jährlichen Gesamtverlust der Anleger in aktiven US-Aktienfonds auf 235 Mrd. Dollar. Wie kommen Sie auf eine solch unglaubliche Zahl?

Levy: Die natürliche Alternative zur Investition in aktive US-Fonds ist eine „passive“ Anlage in den S&P 500-Index, etwa über ETFs. Wir vergleichen also jeden Fonds mit dem passiven Marktindex. Ein Fonds, der nach Abzug der Gebühren eine höhere Sharpe Ratio als der Markt erzielt, schafft Wert für die Anleger. Umgekehrt zerstört ein Fonds Wert, der eine geringere Sharpe Ratio als der Markt aufweist. Durch eine Risikoanpassung können wir Unterschiede in den Sharpe Ratios in Unterschiede in den Renditen umwandeln (siehe folgende Grafik). Multipliziert man diese Renditedifferenz mit dem Geldbetrag, den jeder Fonds verwaltet, erhält man eine Dollar-Schätzung des Wertes, den jeder Fonds schafft oder vernichtet.

risikobereinigte Rendite von Fonds
Abbildung 2) Hochrechnung anhand des Delta
Die risikobereinigte Überrendite eines Fonds, das Delta, ist die Differenz zwischen seiner tatsächlichen Durchschnittsrendite R und der hypothetischen Durchschnittsrendite R*, die er erzielen müsste, um eine Sharpe-Ratio wie der S&P 500 zu erreichen. Der von einem Fonds geschaffene oder vernichtete Wert ergibt sich aus seinem Delta, multipliziert mit seinem gesamten Nettovermögen.
Quelle: Levy, M. (2021), The Deadweight Loss of Active Management, S. 10

Der Gesamtverlust ist aber eine hypothetische Zahl, oder? Denn er stellt einen Verlust dar, der auf einer theoretischen Durchschnittsrendite der Fonds basiert, um ihre Sharpe Ratio mit der des S&P 500 gleichzusetzen.

Levy: Es handelt sich um eine Schätzung auf Grundlage empirischer Daten. Natürlich kann niemand den genauen Gesamtverlust kennen. Aber die Tatsache, dass die Schätzung von 235 Mrd. USD pro Jahr gegenüber verschiedenen Schätzmethoden robust ist, macht mich zuversichtlich, dass dies dem tatsächlichen Gesamtverlust nahekommt.

Sie schreiben, dass der Verlust in zwei Komponenten zerlegt werden kann: Eine Vermögensvernichtung von 186 Mrd. Dollar und ein Vermögenstransfer von Anlegern zu Fonds von 49 Mrd. Dollar. Wie kommen Sie zu diesen Zahlen?

Levy: Die 49 Milliarden Dollar sind ein direkter Transfer von den Anlegern zu den Fonds über Gebühren. Der größte Teil des Verlustes ist aber darauf zurückzuführen, dass die meisten Fonds auch ohne Gebühren schlechter abschneiden als der Index. Mit anderen Worten: Selbst wenn alle Fonds keine Gebühren erhoben hätten, wären die Anleger im Vergleich zu einer Investition in den Marktindex mit einem Gesamtverlust von 189 Mrd. USD konfrontiert gewesen.

Mittelwert-Varianz-Bild der Investmentfondsbranche
Abbildung 3) Ein Mittelwert-Varianz-Bild der Investmentfondsbranche
Die Grafik zeigt alle 7588 aktiven US-Fonds mit vollständiger Renditehistorie von April 2011 bis März 2021. Für diesen Zeitraum werden die durchschnittliche monatliche Rendite und Standardabweichung geschätzt. Jeder Fonds ist durch einen Kreis dargestellt, dessen Fläche proportional zur Fondsgröße per März 2021 ist. Es wird deutlich, dass die meisten Fonds (92,1 %) im Vergleich zum S&P 500 unterdurchschnittlich abschneiden, aber die Beziehung zwischen Größe und Performance ist schwach (mittlere Korrelation: 0,098).
Quelle: Levy, M. (2021), The Deadweight Loss of Active Management, S. 13

Warum investieren Anleger weiter in aktive Fonds, die meist unterdurchschnittlich abschneiden?

Levy: Anleger sind Menschen, und wie die meisten Menschen leiden viele von ihnen unter einer Vielzahl von systematischen kognitiven Verzerrungen. Aktive Investmentfonds sind hoch motiviert und nutzen das bei der Vermarktung ihrer Produkte effizient aus. Zum Beispiel neigen sie dazu, nur dann mit ihrer Performance zu werben, wenn diese gut war. Das kann zum falschen Eindruck führen, dass die Fonds viel besser sind, als es tatsächlich der Fall ist. Ein anderer Ansatz ist die Inkubationsstrategie: Man legt inoffiziell mehrere neue Fonds auf und veröffentlicht nach einigen Jahren nur diejenigen, die gut gelaufen sind. Anleger nehmen hier eine stark verzerrte Erfolgsbilanz wahr.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie hoch ein angemessenes Maß aktiver Anleger an den Märkten sein könnte, um Exzesse zu vermeiden und dennoch sicherzustellen, dass die Preiseffizienz mehr oder weniger erhalten bleibt?

Levy: Der bekannte US-Forscher Richard Roll erklärt das Gleichgewicht zwischen aktivem und passivem Investieren mit einer schönen Analogie aus der Biologie: dem Falke-Taube-Gleichgewicht. Die Falkenstrategie besteht in der Analyse von Wertpapieren und im aktiven Handeln, während die Taubenstrategie für passives Investieren steht. Wenn also alle Anleger aktiv handeln würden, wäre der Nutzen geringer als die Kosten. Wären dagegen alle passiv, hätte aktives Handeln einen enormen Nutzen. Das Gleichgewicht liegt dort, wo es sich weder für den marginalen passiven Anleger lohnt, mit aktivem Verhalten zu beginnen, noch für den marginalen aktiven Anleger, passiv zu werden. Die Tatsache, dass aktive Fonds im Durchschnitt schlechter abschneiden als passive, deutet darauf hin, dass es derzeit zu viele aktive Anleger gibt, also zu viele Falken. Doch wo liegt nun das Gleichgewicht? Ich weiß es nicht, aber meine Vermutung ist, dass wir noch ziemlich weit davon entfernt sind. Ich vermute sogar, dass der Markt effizienter wird, wenn die Hälfte des in aktiven Fonds investierten Geldes in passive Investments umgeschichtet wird, und nicht weniger effizient. Aber das ist nur eine Vermutung.

Warum glauben Sie, dass der Markt effizienter wird, wenn weniger Geld in aktive Fonds fließt?

Levy: Ein Grund ist, dass derzeit zu viele Ressourcen in die Analyse von Wertpapieren gesteckt werden, sodass die Kosten höher sind als der Nutzen. Ein weiterer Grund sind die falschen Anreize: Fondsmanager wollen in der Regel das verwaltete Vermögen erhöhen. Wenn also eine Anlagestrategie im Mittel unterdurchschnittlich abschneidet, aber einmal alle paar Jahre eine sehr gute Performance erzielt, ist es aus Sicht des Managers sinnvoll, diese Strategie zu verfolgen und nach der seltenen Outperformance viel Werbung zu machen. Für die Anleger ist das natürlich nicht so gut.

Anders als man anhand der öffentlichen Wahrnehmung vermuten könnte, sind aktive Fonds also immer noch größer als passive Investments, und bis zum Gleichgewicht ist es wahrscheinlich noch ein weiter Weg.

Levy: Das stimmt. Im Jahr 2021 verwalten aktive Fonds etwa sechsmal so viel Geld wie passive Fonds. Im Jahr 2000 haben aktive Aktienfonds in den USA etwa zwei Billionen Dollar verwaltet, und dieser Wert ist bis 2021 auf zehn Billionen Dollar angewachsen. Es ist also tatsächlich noch ein langer Weg.

Was kann Ihrer Meinung nach getan werden, um die Ineffizienz zu verringern, die durch das übermäßige aktive Management verursacht wird?

Levy: Ich würde drei Wege vorschlagen. Der erste ist die Gestaltung des Mechanismus: Passives Investieren sollte zur Standardoption in Plänen zur Altersvorsorge werden, in denen Anleger zwischen mehreren alternativen Portfolios wählen müssen. Die zweite Möglichkeit ist regulatorisch: Wenn Fonds mit ihren Renditen werben, sollte das die einzelnen Renditen der letzten fünf Jahre sowie die jeweiligen Renditen des Marktes beinhalten. Der dritte und wichtigste Weg ist schließlich die Verbreitung des durch wissenschaftliche Forschung gewonnenen Wissens. Ich hoffe, dass das Interview bei diesen Bemühungen mithelfen kann!

Quellen

Das Interview führte Dr. Marko Gränitz.

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