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19
10
2021

Die Vertrauenswürdigkeit von ESG-Daten. Mehr "Meinung" als "Rating"?

Post by 
Tamara Close
Der Markt für ESG-Daten boomt. Je nachdem, welche Quelle man heranzieht, gibt es derzeit zwischen 125 und 600 Anbieter von ESG-Daten, Ratings und Rankings. Dies ist nicht überraschend, da die Investoren Millionen für ESG-Daten ausgegeben haben und voraussichtlich auch weiterhin ausgeben werden. Im Jahr 2019 gaben die Nutzer mehr als 600 Millionen Dollar aus, und einigen Quellen zufolge dürfte sich dieser Betrag im Jahr 2021 auf 1 Milliarde Dollar belaufen. [1] [2] [3]

ESG-Datenanbieter sind nicht alle gleich, und im Gegensatz zu Ratingagenturen verfügen ESG-Datenanbieter nicht über Methoden, die auch nur im Geringsten reguliert sind. Sie neigen dazu, ihre eigenen proprietären Rating- und Ranking-Methoden zu verwenden, und obwohl es Überschneidungen zwischen den Anbietern gibt, können sie unterschiedliche Quellen nutzen, um die zugrunde liegenden Rohdaten für dieselben ESG-Themen zu sammeln. Einige Anbieter machen ihre Methoden transparent, die meisten jedoch nicht.

Die Unterschiede in den Methoden und der Datenbeschaffung haben zu den viel diskutierten Unterschieden in den Bewertungen der Anbieter geführt, was dazu führt, dass die Korrelationen zwischen den ESG-Datenanbietern sehr gering sein können. In einer häufig zitierten Studie [4] liegen diese Korrelationen im Durchschnitt bei 0,60, was deutlich niedriger ist als die Korrelationen zwischen Ratingagenturen wie Moody's und S&P, die in der Regel nahe bei 0,99 liegen [5].

In Anbetracht der Unterschiede bei ESG-Ratings sollten Anleger diese besser als "Meinungen" zu ESG-Daten betrachten.

In einer demnächst erscheinenden wissenschaftlichen Arbeit mit dem Titel "Inconsistencies in methodologies of ESG data providers and green bond standards" (Unstimmigkeiten in den Methoden von ESG-Datenanbietern und Standards für grüne Anleihen) stellen die Autoren Kim Schumacher und Tamara Close elf wesentliche Unstimmigkeiten zwischen verschiedenen ESG-Datenanbietern fest, die sich sowohl auf die Art des Datenanbieters als auch auf die zugrunde liegenden Methoden beziehen. Dazu gehören Unterschiede in der Definition von Wesentlichkeit, Normalisierungstechniken, Aggregation und Gewichtung, Verzerrung durch Survivorship Bias und fehlende Daten, Verwendung von Standards und Metriken, Erstellung von Benchmarking- und Peer Groups, Quellen und Zeitpunkt der Datenerhebung sowie verhaltens- und produktbasierte Bewertungsmethoden. Die Autoren zeigen dann auch auf, wie deutlich sich diese Unstimmigkeiten auf ein Anlageportfolio auswirken können. Dazu gehören eine mögliche Rosinenpickerei bei ESG-Ratings sowie Verzerrungen bei Faktoren, Geografie und Größe.

Die Verwendung von ESG-Daten als Input für einen Anlageprozess kann den Prozess stärken und eine breitere Perspektive für den Anlageprozess bieten, da sie die Bewertung der immateriellen Aspekte einer Anlage umfasst. Um jedoch Glaubwürdigkeit und Integrität zu gewährleisten, müssen ESG-Daten denselben Datenverwaltungsprozessen unterliegen wie andere wesentliche Anlagedaten. Dazu gehören die Validierung und die Überprüfung der Datenqualität.

Die Qualität eines ESG-Ratings hängt auch von der Vergleichbarkeit der Quelldaten und den zur Analyse dieser Daten verwendeten Methoden ab. So können beispielsweise Daten aus Entwicklungsländern oder Ländern mit abweichenden Regulierungsstandards durch Lücken oder Verzerrungen verfälscht werden. Daher können Unternehmen desselben Sektors sehr unterschiedlich bewertet werden, da der Kontext, in dem die zugrundeliegenden Daten erstellt wurden, stark voneinander abweicht". Wenn ein Unternehmen beispielsweise eine vorbildliche Politik in Bezug auf Vielfalt und Integration, Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter oder eine andere Art von ESG-Politik verfolgt, diese aber nicht öffentlich zugänglich macht, werden bestimmte Anbieter von ESG-Ratings diesem Unternehmen eine niedrige Bewertung (oder den Branchendurchschnitt) für dieses ESG-Thema geben. Umgekehrt erhalten Unternehmen, die gut ausgearbeitete, umfassende Richtlinien veröffentlichen, höhere Bewertungen, auch wenn diese Richtlinien in den einzelnen Unternehmen möglicherweise nicht befolgt werden.

Einige Anbieter von ESG-Daten können auch sektorneutral sein, was bedeutet, dass Unternehmen selbst in Sektoren mit erheblichen ESG-Risiken (z.B. im Öl- und Gassektor) bei ESG-Kennzahlen gut abschneiden können. Ein hohes ESG-Rating bedeutet daher nicht unbedingt, dass ein Unternehmen nachhaltiger ist oder sich besser um die Umwelt oder die Gesellschaft kümmert [8]. Daher ist die Vergleichsgruppe oder die Benchmark, die zur Bestimmung des ESG-Scores oder der ESG-Kennzahl herangezogen wird, von entscheidender Bedeutung.

Es gibt auch größenbedingte und geografische Verzerrungen. Die Wesentlichkeit eines ESG-Themas kann je nach Land oder Region [9] des Unternehmens variieren. Während beispielsweise Themen wie "Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer" in entwickelten Märkten sehr wichtig sind, kann es sein, dass in Entwicklungsländern die Schaffung von Arbeitsplätzen wichtiger ist als Gesundheit und Sicherheit, um die Armut zu verringern [10]. Dies kann zu Verzerrungen bei den Ratings von Unternehmen in Entwicklungsländern führen (sofern sie nicht für regionale Unterschiede normalisiert werden), da die meisten ESG-Ratingagenturen aus westlichen Ländern stammen.

Angesichts der größen- und geografisch bedingten Verzerrungen, die bei ESG-Unternehmensbewertungen auftreten können, kann ein Rückgriff auf ESG-Ratings bei Anlageentscheidungen außerdem dazu führen, dass Anlageportfolios auf Unternehmen mit größerer Marktkapitalisierung und auf Regionen mit einem höheren Maß an aufsichtsrechtlicher Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsthemen ausgerichtet sind. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass dies die nachhaltigsten Unternehmen im Anlageuniversum sind.

Wenn sich Anleger also ausschließlich auf die Bewertung eines ESG-Datenanbieters verlassen, "übernehmen sie die Perspektive dieses Anbieters, ohne vollständig zu verstehen, wie er zu diesen Schlussfolgerungen gekommen ist.

Ein gründliches Verständnis der Methoden sowie der Arten und Quellen der von den ESG-Datenanbietern verwendeten Daten ist für Anleger von grundlegender Bedeutung, wenn sie diese Daten als Input für ihren Anlageprozess nutzen und wirklich nachhaltige Anlageportfolios erstellen wollen.
Tamara Close

Einige Anleger werden versuchen, dieses Problem zu umgehen, indem sie die zugrunde liegenden ESG-Rohdaten eines Anbieters im Gegensatz zu den aggregierten Bewertungen verwenden. Je nachdem, woher die Anbieter ihre Daten beziehen, kann dies jedoch auch zu unerwünschten Auswirkungen führen. So werden beispielsweise die meisten selbst gemeldeten ESG-Daten von Unternehmen keinen Prüfungen oder internen Kontrollen unterzogen und können daher ein Risiko für Fehler und Auslassungen darstellen.

ESG-Daten und -Kennzahlen sollten auch ganzheitlich und nicht in einem isolierten Ansatz betrachtet werden, um mehr Klarheit über das ESG-Risiko eines Unternehmens zu schaffen. So kann der Vergleich der Gesundheits- und Sicherheitsprozesse zweier Unternehmen anhand der gemeldeten "Beinaheunfälle" unbeabsichtigte Folgen für ein Portfolio haben. Ein Unternehmen hat vielleicht mehr Beinaheunfälle als ein anderes, aber ist dies darauf zurückzuführen, dass es im Vergleich zu einem anderen Unternehmen eine schlechtere Gesundheits- und Sicherheitsbilanz hat, oder liegt es daran, dass es eine sehr transparente Berichtsmethode hat und seine Mitarbeiter ermutigt, alle Beinaheunfälle zu melden, um seine Gesundheits- und Sicherheitsbilanz ständig zu verbessern? Eine umfassendere Untersuchung und Bewertung der Führungs- und Aufsichtsprozesse sind daher erforderlich, um ein ganzheitlicheres und realistischeres Bild des Gesundheits- und Sicherheitsprozesses eines Unternehmens zu erhalten.

Erfahrene Anleger wissen, dass sie angesichts der Unstimmigkeiten zwischen den Anbietern von ESG-Daten ein kritisches Urteilsvermögen anwenden und eine gründliche Analyse durchführen müssen, wenn sie ESG-Ratings in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen. Ein entscheidender erster Schritt ist die Due-Diligence-Prüfung aller verwendeten ESG-Datenanbieter [12]. Diese Anleger überlagern dann oft ihr internes Wissen (von internen ESG-Spezialisten und/oder aus der Zusammenarbeit mit den Unternehmen, in die sie investieren) und die Erkenntnisse von ESG-Fachleuten (wie Ingenieuren, Wissenschaftlern und Forschern) mit den Rohdaten der ESG-Datenanbieter, um ihre eigenen ESG-Bewertungen zu erstellen.

ESG-Daten und Datenanbieter spielen in der Investmentbranche zweifellos eine wichtige Rolle: Sie lösen das Problem der Verfügbarkeit von ESG-Daten auf den Kapitalmärkten, indem sie diese Daten beschaffen, analysieren und aggregieren. Dies führt jedoch auch zu Subjektivität und Verzerrungen in den Portfolios. Ein gründliches Verständnis der Methoden sowie der Arten und Quellen der von den ESG-Datenanbietern verwendeten Daten ist für Anleger von grundlegender Bedeutung, wenn sie diese Daten als Input für ihren Anlageprozess nutzen und wirklich nachhaltige Anlageportfolios erstellen wollen.

Leseempfehlung der Redaktion: ESG Rating - was wird wie gemessen? | Intalcon

Quellen

[1] Scm Direct. 2019. “Greenwashing: Misclassification and Mis-selling of Ethical Investments.”
[2] SustainAbility. 2020. “Rate the Raters 2020: Investor Survey and Interview Results”
[3] Opimas “Spending on ESG data could hit $1B in 2021” https://www.spglobal.com/marketintelligence/en/newsinsights/latest-news-headlines/spending-on-esg-data-could-hit-1b-in-2021-8211-opimas-57525642
[4] Berg, Florian and Kölbel, Julian and Rigobon, Roberto, Aggregate Confusion: The Divergence of ESG Ratings (May 17, 2020). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3438533 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3438533
[5] https://www.bnnbloomberg.ca/conflicting-esg-ratings-are-confusing-sustainable-investors-1.1360887pg. 2 tamaraclose@closegc.com
[6] Source: Kim Schumacher, School of Environment and Society, Tokyo Institute of Technology, School of Geography and the Environment, University of Oxford, (schumacher.k.aa@m.titech.ac.jp)
[7] The Alliance for Corporate Transparency’s 2019 report assessed 1,000 European companies and concluded that companies tend to report on policies and not on specific ESG data, citing that there is also a lack of ESG metrics and targets. It is difficult to determine clearly how a firm is performing if only policies are published, without specific metrics, targets and reporting on the implementation of those targets; https://allianceforcorporatetransparency.org/
[8] Environmental Finance. 2020. “Pitfalls in ESG ratings requires investor caution”
[9] For a good overview of the regional differences of ESG issues, see: https://www.hexavest.com/en/esg-factorsapplied-to-emerging-markets-a-top-down-case-study
[10] Ibid.pg. 3 tamaraclose@closegc.com
[11] State Street. 2019. “The ESG data challenge”, https://www.ssga.com/investment-topics/environmental-socialgovernance/2019/03/esg-data-challenge.pdf
[12] This was highlighted as a recommendation in the recent consultation paper from IOSCO: “Financial market participants could consider conducting due diligence on the ESG ratings and data products that they use in their internal processes. This due diligence could include an understanding of what is being rated or assessed by the product, how it is being rated or assessed and, limitations and the purposes for which the product is being used.” Source: https://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD681.pdf

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