Ich betrachte mich als einen Außenstehenden, weil ich nicht im "ESG-Universum" leben. Ich bin Pädagoge und Forscher aus New York; zuletzt im Bereich Quantitative Finance. Mein Interesse an ESG ist ein Ableger meiner Forschung zur Theorie des optimalen Portfolios, insbesondere der Portfoliodiversifikation. Dieses Problem an sich ist, wie ich erläutern werde, für ESG sehr wichtig.
In letzter Zeit geriet das ESG-basierte Investieren an zwei Fronten in die Kritik. Erstens ist es die Beziehung zwischen den ESG-Ratings der Unternehmen und der Marktperformance. Auch wenn mitunter positive Korrelationen zwischen diesen beiden Faktoren zu finden sind, bleibt die Kausalität dieses Effekts fraglich: Sind die „guten“ Unternehmen profitabler oder können profitablere Unternehmen es sich leisten, gut auszusehen? Ein weiteres Problem ist, dass die Popularität einiger ESG-Investments deren Preis in die Höhe treiben kann. Dann gibt es ein Problem bei der Wahl der ESG-Ratings für einzelne Unternehmen, die sich zwischen ihren Anbietern erheblich (manchmal dramatisch) unterscheiden können. Darüber hinaus hat die fehlende Regulierung zu weit verbreiteten Fällen von „Greenwashing“ geführt.
Dennoch hat ESG-basiertes Investieren einflussreiche Befürworter, die ihre eigenen Lösungen für ihre aktuellen Probleme anbieten. Und ich stimme ihnen bis zu einem gewissen Punkt zu: Egal wie chaotisch die aktuelle Situation mit ESG ist: Das wachsende öffentliche Interesse übt einen Druck auf Unternehmen aus, sozial verantwortlich zu handeln. Dennoch sollten die oben erwähnten Fragen angegangen werden. Lassen Sie mich dazu zwei Vorschläge machen.
Ich beginne mit der ESG-basierten Problematik der Investmentperformance, indem ich mich auf die Theorie des optimalen Portfolios stütze. Das klassische Mean-Varianz-Paradigma, das von Markowitz entwickelt wurde, basiert auf einer Minimierung der Zielfunktion, die die Differenz zwischen dem Portfoliorisiko (gekennzeichnet durch die Portfoliovarianz) und der erwarteten Portfoliorendite darstellt. Leider führt ein solcher Ansatz zu stark konzentrierten Portfolios. Das Minimierungsprotokoll lässt nämlich nur einige wenige der besten früheren Performer im Portfolio aber den Rest fallen. Eine Möglichkeit, die Diversität eines Portfolios zu erhöhen, besteht darin, den Herfindahl-Hirschman-Index zur Minimierungszielfunktion hinzuzufügen. Dieser Index wird als Maß der Konzentration von Unternehmen innerhalb der Branche verwendet. Wenn es der dominierende Maßstab in der Minimierungszielfunktion wird, werden alle Portfoliobestandteile gleich gewichtet.
Auch wenn der ESG-Wert (Portfolio ESG Value; kurz. PESGV) des Portfolios eine Priorität bei sozial verantwortlichen Anlegern hat, sollte er der Minimierungszielfunktion hinzugefügt werden. Ein natürliches PESGV-Maß ist die Summe der gewichteten ESG-Ratings der Portfoliobestandteile. Dann kann das Portfolio gleichzeitig hinsichtlich Rendite, Risiko und PESGV optimiert werden.
Was ESG-basierte Investitionen betrifft, bevorzugen Praktiker ESG-verstärkte (oder ESG-tilted) Aktienindizes und verwandte ETFs. Ein Beweis dafür, dass diese Investments ihre ESG-neutralen "Geschwister" übertreffen, ist bestenfalls gemischt. Meiner Meinung nach fehlt es den Berichten über die Anlageperformance oft an statistischer Genauigkeit. Insbesondere vernachlässigen Praktiker den Entry-Point-Bias. Konkret beginnen die Datenstichproben in diesen Berichten am Anfang eines Jahres und enden am Ende eines weiteren Jahres. Anleger können ihr Geld jedoch an jedem Tag am Markt ein- und auszahlen.
Denken Sie daran, dass diejenigen, die auf dem Höhepunkt des Internet-Booms im März 2000 in NASDAQ-Aktien investierten und später den Dot-Com-Crash erlebten, ihr eingesetztes Kapital erst im Jahr 2015 wiedererlangten. Die korrekte Performanceberechnung einer Anlagestrategie berücksichtigt rollierende Fenster einer gewählten Haltedauer (z. B. ein Jahr oder fünf Jahre), die an jedem Tag innerhalb der gegebenen Datenstichprobe beginnen (z. B. der letzten zehn Jahre) und sammelt Performancestatistiken für alle Zeitfenster. Anschließend können verschiedene Anlagestrategien mithilfe statistischer Hypothesentests verglichen werden. Lassen wir die Diskussion über Outperformance für einen anderen Tag.
Ein allgemeineres Problem besteht darin, dass bei einigen ESG-optimalen Portfolios das klassische Performancemaß, die Sharpe Ratio (Sh), die den Sinn hat, eine risikoadjustierte Rendite zu ermitteln, mit steigendem PESGV tatsächlich monoton sinken kann. Dies ist auf die geringen Korrelationen zwischen den ESG-Werten der Unternehmen und den Aktienrenditen zurückzuführen. Darüber hinaus nimmt die Diversität eines Portfolios mit steigendem PESGV ab (Schmidt, 2020; Schmidt & Zhang, 2021). Ich schlage deshalb vor, dass sozial verantwortliche Anleger ein Portfolio-Performance-Maß verwenden, das nicht nur mit Portfoliorendite und -risiko, sondern auch mit dem PESGV bestimmt wird. Es bietet sich folgendes Maß an, das ich "ESG Tilted Sharpe Ratio" nenne:
ESG Tilted Sharpe Ratio
Sh_ESG = Sh(1 + PESGV)
Sh_ESG hat ein Maximum bei mittleren PESGVs, was als Kriterium für die Auswahl eines optimalen ESG-Portfolios dienen kann. Ähnliche ESG-abhängige Performancekennzahlen wurden von Chen & Mussalli (2020) und Alessandrini & Jondeau (2021) vorgeschlagen.