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2021

Das ESG-Rätsel: die Sicht eines Außenstehenden.

Post by 
Dr. Anatoly (Alec) Schmidt
In diesem Beitrag werden zwei Vorschläge gemacht, um der wachsenden Kritik an ESG-basierten Investitionen Rechnung zu tragen. Erstens müssen sozial verantwortliche Anleger ein Maß zur Portfolioperformance verwenden, das ausdrücklich auf den ESG-Wert des Portfolios abstellt. Und da zweitens die ESG-Ratings von Unternehmen nicht reguliert und vage definiert sind, sollten die Ratingagenturen detaillierte Informationen zur Berechnung ihrer Ratings bereitstellen und ihren Kunden die Möglichkeit geben, individuelle Ratings ihrer Wahl zu implementieren.

Ich betrachte mich als einen Außenstehenden, weil ich nicht im "ESG-Universum" leben. Ich bin Pädagoge und Forscher aus New York; zuletzt im Bereich Quantitative Finance. Mein Interesse an ESG ist ein Ableger meiner Forschung zur Theorie des optimalen Portfolios, insbesondere der Portfoliodiversifikation. Dieses Problem an sich ist, wie ich erläutern werde, für ESG sehr wichtig.

In letzter Zeit geriet das ESG-basierte Investieren an zwei Fronten in die Kritik. Erstens ist es die Beziehung zwischen den ESG-Ratings der Unternehmen und der Marktperformance. Auch wenn mitunter positive Korrelationen zwischen diesen beiden Faktoren zu finden sind, bleibt die Kausalität dieses Effekts fraglich: Sind die „guten“ Unternehmen profitabler oder können profitablere Unternehmen es sich leisten, gut auszusehen? Ein weiteres Problem ist, dass die Popularität einiger ESG-Investments deren Preis in die Höhe treiben kann. Dann gibt es ein Problem bei der Wahl der ESG-Ratings für einzelne Unternehmen, die sich zwischen ihren Anbietern erheblich (manchmal dramatisch) unterscheiden können. Darüber hinaus hat die fehlende Regulierung zu weit verbreiteten Fällen von „Greenwashing“ geführt.

Dennoch hat ESG-basiertes Investieren einflussreiche Befürworter, die ihre eigenen Lösungen für ihre aktuellen Probleme anbieten. Und ich stimme ihnen bis zu einem gewissen Punkt zu: Egal wie chaotisch die aktuelle Situation mit ESG ist: Das wachsende öffentliche Interesse übt einen Druck auf Unternehmen aus, sozial verantwortlich zu handeln. Dennoch sollten die oben erwähnten Fragen angegangen werden. Lassen Sie mich dazu zwei Vorschläge machen.

Ich beginne mit der ESG-basierten Problematik der Investmentperformance, indem ich mich auf die Theorie des optimalen Portfolios stütze. Das klassische Mean-Varianz-Paradigma, das von Markowitz entwickelt wurde, basiert auf einer Minimierung der Zielfunktion, die die Differenz zwischen dem Portfoliorisiko (gekennzeichnet durch die Portfoliovarianz) und der erwarteten Portfoliorendite darstellt. Leider führt ein solcher Ansatz zu stark konzentrierten Portfolios. Das Minimierungsprotokoll lässt nämlich nur einige wenige der besten früheren Performer im Portfolio aber den Rest fallen. Eine Möglichkeit, die Diversität eines Portfolios zu erhöhen, besteht darin, den Herfindahl-Hirschman-Index zur Minimierungszielfunktion hinzuzufügen. Dieser Index wird als Maß der Konzentration von Unternehmen innerhalb der Branche verwendet. Wenn es der dominierende Maßstab in der Minimierungszielfunktion wird, werden alle Portfoliobestandteile gleich gewichtet.

Auch wenn der ESG-Wert (Portfolio ESG Value; kurz. PESGV) des Portfolios eine Priorität bei sozial verantwortlichen Anlegern hat, sollte er der Minimierungszielfunktion hinzugefügt werden. Ein natürliches PESGV-Maß ist die Summe der gewichteten ESG-Ratings der Portfoliobestandteile. Dann kann das Portfolio gleichzeitig hinsichtlich Rendite, Risiko und PESGV optimiert werden.

Was ESG-basierte Investitionen betrifft, bevorzugen Praktiker ESG-verstärkte (oder ESG-tilted) Aktienindizes und verwandte ETFs. Ein Beweis dafür, dass diese Investments ihre ESG-neutralen "Geschwister" übertreffen, ist bestenfalls gemischt. Meiner Meinung nach fehlt es den Berichten über die Anlageperformance oft an statistischer Genauigkeit. Insbesondere vernachlässigen Praktiker den Entry-Point-Bias. Konkret beginnen die Datenstichproben in diesen Berichten am Anfang eines Jahres und enden am Ende eines weiteren Jahres. Anleger können ihr Geld jedoch an jedem Tag am Markt ein- und auszahlen.

Denken Sie daran, dass diejenigen, die auf dem Höhepunkt des Internet-Booms im März 2000 in NASDAQ-Aktien investierten und später den Dot-Com-Crash erlebten, ihr eingesetztes Kapital erst im Jahr 2015 wiedererlangten. Die korrekte Performanceberechnung einer Anlagestrategie berücksichtigt rollierende Fenster einer gewählten Haltedauer (z. B. ein Jahr oder fünf Jahre), die an jedem Tag innerhalb der gegebenen Datenstichprobe beginnen (z. B. der letzten zehn Jahre) und sammelt Performancestatistiken für alle Zeitfenster. Anschließend können verschiedene Anlagestrategien mithilfe statistischer Hypothesentests verglichen werden. Lassen wir die Diskussion über Outperformance für einen anderen Tag.

Ein allgemeineres Problem besteht darin, dass bei einigen ESG-optimalen Portfolios das klassische Performancemaß, die Sharpe Ratio (Sh), die den Sinn hat, eine risikoadjustierte Rendite zu ermitteln, mit steigendem PESGV tatsächlich monoton sinken kann. Dies ist auf die geringen Korrelationen zwischen den ESG-Werten der Unternehmen und den Aktienrenditen zurückzuführen. Darüber hinaus nimmt die Diversität eines Portfolios mit steigendem PESGV ab (Schmidt, 2020; Schmidt & Zhang, 2021). Ich schlage deshalb vor, dass sozial verantwortliche Anleger ein Portfolio-Performance-Maß verwenden, das nicht nur mit Portfoliorendite und -risiko, sondern auch mit dem PESGV bestimmt wird. Es bietet sich folgendes Maß an, das ich "ESG Tilted Sharpe Ratio" nenne:

ESG Tilted Sharpe Ratio

Sh_ESG = Sh(1 + PESGV)

Sh_ESG hat ein Maximum bei mittleren PESGVs, was als Kriterium für die Auswahl eines optimalen ESG-Portfolios dienen kann. Ähnliche ESG-abhängige Performancekennzahlen wurden von Chen & Mussalli (2020) und Alessandrini & Jondeau (2021) vorgeschlagen.

Als Anleger sollten sie in der Lage sein, ihre eigenen ESG-Prioritäten zu definieren.
Dr. Anatoly Schmidt

All diese und andere ESG-Überlegungen machen nur Sinn, wenn man den ESG-Ratings vertrauen kann. Und genau hier liegt das Problem: Wie das berühmte GIGO-Sprichwort der Datenwissenschaft lautet: „Garbage in, Garbage out“. Wie auf den Websites der Ratingagenturen zu finden ist, sind die ESG-Ratings die (fast) gleichgewichtete Summe ihrer Komponenten E (Umwelt), S (Soziales) und G (Unternehmenswachstum). Ist das wirklich so?

Beginnen wir mit der Komponente G. Wenn diese nicht stark mit der Aktienrendite korreliert, weiß ich nicht, was genau sie darstellt. Mit anderen Worten, die G-Komponente kann, wenn sie für die Performance des Unternehmens wirklich relevant ist, im Hinblick auf optimale ESG-Portfolios überflüssig sein. Wie steht es um die Komponente S? Sollten wir diese – unter der Voraussetzung, dass die Menschheit vor einer Klimakrise steht – genauso wichtig behandeln wie die Komponente E? Und ein weiteres Problem ist, dass es wirklich schwierig ist (wenn überhaupt möglich), im öffentlichen Bereich herauszufinden, wie genau die E-, S- und G-Komponenten selbst berechnet werden.

Ich habe keine klare Meinung zur Definition von ESG-Ratings und bin mir nicht sicher, ob eine Regulierung hilfreich wäre, obwohl die Empfehlungen der Experten nicht schaden. Aber ich habe folgenden Vorschlag: Da es die Entscheidung der Anleger ist, wie sie ihr Geld investieren, sollten sie ihre eigenen ESG-Prioritäten festlegen können. Was die Ratingagenturen betrifft, so müssen sie vollständig transparent machen, welche Faktoren sie in die E-, S- und G-Komponenten einbeziehen. Sie sollten es ihren Kunden überlassen, diese Faktoren in die eigenen ESG-Komponenten zu mischen und sie dann in den ESG-Ratings nach ihren eigenen Vorstellungen zu verarbeiten. Dies schließt nicht aus, dass Rating-Agenturen für weniger versierten Anlegern einige Standard-ESG-Ratings anbieten.

Quellen

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Electronische Version hier verfügbar: https://ssrn.com/abstract=3953844

Schmidt, Anatoly B., The ESG Conundrum: An Outsider’s View (October 14, 2021). Verfügbar auch über SSRN: https://ssrn.com/abstract=3942572 und http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3942572

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