Algorithmen treffen die besseren Entscheidungen
Wer liefert bessere Prognosen: Menschen oder Algorithmen? Auch wenn es dem menschlichen Ego nicht gerade schmecken dürfte – die Forschungsergebnisse der letzten Jahre belegen, dass Algorithmen besser abschneiden als menschliche Experten und zwar in unterschiedlichsten Bereichen. Eine im Jahr 2000 veröffentlichte, viel zitierte Meta-Studie [1] weist dies anhand von insgesamt 136 Studien nach: Algorithmen schlugen dort menschliche Vorhersagen in 94 Prozent aller Fälle. Die Überlegenheit der statistischen Modelle ist nach Aussagen der Forscher konsistent und zwar unabhängig vom Aufgabengebiet, der Art und Erfahrung der Teilnehmer und der zugrundeliegenden Daten.
Wenn Algorithmen nachweislich Vorteile haben, warum lehnen wir diese ab?
Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass Menschen sich eher auf eine „menschengemachte“ Prognose verlassen als die eines statistischen Algorithmus – mit den entsprechenden Konsequenzen. Dieses Phänomen wird als „Algorithm Aversion“ bezeichnet. Wo liegen die Gründe für dieses Verhalten? Die Wissenschaft liefert hierfür mehrere Hypothesen: Zum einen könnte dies mit dem Wunsch des Menschen zusammenhängen, möglichst perfekte Vorhersagen erhalten zu wollen.
Auch die Annahme, Algorithmen würden keine qualitativen Faktoren berücksichtigen, ist ein möglicher Erklärungsansatz. Die Annahme, dass menschliche Experten im Laufe der Zeit durch ihre Erfahrung ihre Vorhersagequalität steigern, dürfte ebenso eine Rolle spielen wie die Bedürfnispyramide nach Maslow: Algorithmen, die besser als der Mensch abschneiden, stehen dem menschlichen Selbstwertgefühl schließlich gehörig im Weg.
Ein Experiment liefert neue Erkenntnisse
Die Forscher der Universität von Pennsylvania [2] wollten es genauer wissen und stellten eigene Untersuchungen an. Probanden hatten dabei die Aufgabe, anhand unterschiedlicher Daten die Erfolgsaussichten der Bewerber vorherzusagen und über deren Zulassung zum MBA-Programm zu entscheiden. Das Besondere dabei: In unterschiedlichen Experimenten bot man den Teilnehmern die Gelegenheit, vor Abgabe ihrer eigenen Prognose entweder dem statistischen Prognosemodell der Zulassungsstelle „über die Schulter“ zu blicken, einem menschlichen Experten, beiden oder aber keinem der beiden. Diese Unterteilung machte es möglich, herauszufinden, ob und wann die Teilnehmer sich selbst, einem Modell oder einem anderen Experten vertrauten und wie die Performance des Algorithmus die Wahl beeinflussen würde. Als Anreiz fungierte ein finanzieller Bonus: Je besser die Prognosequalität der Teilnehmer (unabhängig davon, ob diese von ihnen oder vom Algorithmus stammt), desto höher der mögliche Bonus für die Teilnehmer.
Total irrational – Menschen lehnen Algorithmen ab, gerade weil sie outperformen
Die Ergebnisse der Studie sind in vielerlei Hinsicht interessant und liefern gerade für Trader jede Menge Stoff zum Nachdenken – doch dazu später mehr. Der Algorithmus schnitt in allen Experimenten besser ab als die Probanden und bestätigte damit die Ergebnisse anderer Studien. Die durchschnittliche Fehlerrate lag bei den Probanden um 15 bis 29 Prozent höher als beim Algorithmus. Das Pikante dabei: Die Probanden zeigten eine ausgeprägte Aversion gegenüber algorithmisch generierten Vorhersagen, wenn sie die Modelle „beobachten“ konnten. Die ablehnende Haltung war auch dann vorhanden, wenn die Algorithmen besser abschnitten als die menschlichen Experten. Die Hypothese der Forscher wurde damit eindrucksvoll bestätigt:
Gerade weil der Mensch den Algorithmus „bei der Arbeit“ und damit früher oder später auch dessen Fehler beobachtet, setzt er eher auf die menschliche Expertise. Und das trotz der höheren Genauigkeit des Algorithmus.
Die Schlussfolgerung daraus lautet: Menschen kehren dem Algorithmus bei Fehlern schneller den Rücken als ihren Mitmenschen – sogar dann, wenn letztere größere Fehler machen. Um bei dem Fall mit der Zulassung zum MBA-Studium zu bleiben: Wir verzeihen dem Angestellten in der Zulassungsstelle eher einen Fehler und drücken ein Auge zu, Fehlentscheidungen des statistischen Prognosemodells dulden wir hingegen nicht. Auch wenn wir wissen, dass dieses langfristig die besseren Entscheidungen trifft.
Wie kommt es aber, dass die Teilnehmer glauben, dass Algorithmen offensichtliche Fehler eher vermeiden als Menschen, sich aber mehrheitlich dennoch auf letzteres verlassen? Die Antwort der Forscher: Sie glauben, dass ihre Mitmenschen besser aus Fehlern lernen als Algorithmen.
Mensch versus Maschine – wer ist der bessere Trader?
Nachdem wir die wichtigsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie dargelegt haben, stellt sich die Frage, was das alles mit der Börse und Trading zu tun haben soll. Sehr viel! Schließlich steht auch hier jeder Marktteilnehmer vor der Frage, welchem Ansatz er für seine Trading- oder Investmententscheidungen vertrauen möchte:
a) einem Algorithmus (100 Prozent regelbasierte Handelsstrategie)
b) einem menschlichen Experten (eigene Einschätzung beziehungsweise Drittmeinung von Analysten, Fondsmanagern usw.)
c) einer Kombination aus Algorithmus und Mensch
Quant Trader setzen auf Statistiken, Backtests und die vollständige Systematisierung des Tradings. Menschliche Emotionen, die an der Börse nachweislich Nachteile bringen, sollen auf diesem Weg ausgeschaltet werden, ganz nach dem Motto: Fakten statt Emotionen. Auf der anderen Seite argumentieren diskretionäre Trader genau umgekehrt: Ein rein mechanischer Ansatz könne nicht langfristig erfolgreich sein, weil gerade die menschlichen Fähigkeiten wie Intuition, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit einem mechanischen Code in Zeiten sich ständig wandelnder Märkte letztendlich überlegen seien.