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30
03
2023

Welt Wild Wirtschaft

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Dr. Frauke Fischer
Schon gewusst? Der Wert von Biodiversität und Ökosystemleistungen ist etwa doppelt so hoch ist, wie der des weltweiten Bruttosozialprodukts pro Jahr. Über 60% der weltweiten Wirtschaftsleistung sind direkt oder indirekt von Leistungen der Natur abhängig. Zahlen mit denen sich auch die Finanzbranche dringend beschäftigen sollte.

Artikel von Dr. Frauke Fischer, Biodiversitätsexpertin

Lange galt der Schutz der Natur als Aufgabe für staatliche Organe und Naturschutzorganisationen. Echte Geschäftsleute hatten sich um anderes zu kümmern. Wo gehobelt wurde, fielen Späne, wo die Wirtschaft angekurbelt und das große Geld gemacht werden sollte, musste Mutter Natur eben weichen. Wir mussten Geld verdienen, die Konjunktur beleben, Wachstum schaffen, Menschen in Arbeit bringen.

Je mehr wir die Naturgesetze der Welt verstehen, umso klarer wird aber, dass diese - immer noch wichtigen - Ziele nur mit, nicht gegen die Natur zu erreichen sind.

Was bedeutet Biodiversität für uns?

Ein bisschen weniger romantisch und dafür wissenschaftliche korrekt, können wir die Natur als „Biodiversität“ und ihre Verbindung zu uns als „Ökosystemleistungen“ bezeichnen. Dabei ist Biodiversität die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten: auf der Ebene von Genen (Herr Schmidt ist nicht Frau Meyer), von Arten (ein Hund ist keine Katze) und Ökosystemen (ein Korallenriff ist kein Regenwald). Biodiversität ist die Grundlage von Ökosystemleistungen und die sind wiederum definiert als Leistungen, die die Natur explizit für Menschen erbringt. Diese Leistungen kann man wiederum in vier groß Kategorien unterteilen. So beschreiben Versorgungsleistungen alles, was wir der Natur direkt entnehmen und nutzen können. Trinkwasser, Holz, Waldpilze oder Wildfische fallen darunter. Die zweite Kategorie sind Regulierungsleistungen. Zu ihnen gehören beispielsweise die Regulation von Krankheiten, die Stabilisierung des Weltklimas, die Bestäubung von (Nutz-) Pflanzen, die Reinigung von Luft und Wasser. Die dritte Kategorie sind Basisleistungen. Die Kategorie ist übersichtlich, weil nur drei Leistungen: die Generierung fruchtbarer Böden, Photosynthese und die Aufrechterhaltung globaler Nährstoffkreisläufe dazugehören. Die letzte Kategorie umfasst kulturelle Leistungen, zu denen etwa die Erholungsfunktion der Natur oder die Inspiration, die wir aus ihr schöpfen gehören.

Aktuelle Studien belegen, dass über 60% der weltweiten Wirtschaftsleistung direkt oder indirekt von Leistungen der Natur abhängig sind.
Dr. Frauke Fischer

Wie viel ist Biodiversität wert?

So weit so gut und erstmal kein Grund, den Blick von den Quartalszahlen und Bilanzen abzuwenden, oder doch? Der Wert von Biodiversität und Ökosystemleistungen lässt sich monetär bemessen. Berechnet man ihn, so kommt man zu dem überraschenden Ergebnis, dass er etwa doppelt so hoch ist, wie der des weltweiten Bruttosozialprodukts - und zwar Jahr für Jahr. Schon das sollte uns allen zu denken geben; sind doch diese Leistungen nicht nur nicht zu bezahlen, sondern auch nur schwer oder gar nicht zu ersetzen. So können Menschen keine fruchtbaren Böden erzeugen, Blüten wesentlich langsamer und schlechter bestäuben oder viel Geld dafür aufrufen, Wasser und Luft zu filtern. All diese Leistung erbringt die Natur dauerhaft, in bester Qualität, zuverlässig und kostenlos. Noch größer als die Überraschung beim Betrachten des gigantischen monetären Wertes ist aber vermutlich die, beim Erkennen der Abhängigkeit der Weltwirtschaft, und damit jedes einzelnen Unternehmens, von diesen Leistungen. Aktuelle Studien belegen, dass über 60% der weltweiten Wirtschaftsleistung direkt oder indirekt von Leistungen der Natur abhängig sind. Weiß man das, ist Natur plötzlich nicht mehr nur „nice to have“, sondern zentraler Bestandteil des Kerngeschäfts eines jeden Unternehmens.

Hier fängt die Crux aber erst richtig an. Während für Unternehmen des Lebensmittelsektors leicht nachvollziehbar ist, warum sie von Biodiversität und Ökosystemleistungen abhängig sind, liegen die Zusammenhänge und Abhängigkeiten anderer Sektoren - auch des Finanzsektors - nicht so einfach auf der Hand. Wer täglich mit Computern und Zahlen hantiert, aber keinen Baum fällt, der kann doch eigentlich weder abhängig von Biodiversität sein noch ihren Niedergang mit verschulden.

Was hat Biodiversität mit der Finanzbranche zu tun?

Dass es in jedem Sektor und jedem Unternehmen einen Zusammenhang zu den Auswirkungen der Eingriffe in die Natur gibt, hat uns schmerzhaft die Corona-Pandemie gelehrt. Covid-19 ist eine Zoonose, also eine Krankheit, die von Wildtieren auf Haustiere und oder Menschen übergesprungen ist. Etwa 1,7 Millionen unbekannte Viren gibt es. Von denen können geschätzte 640.000 - 850.000 dem Menschen als „neue Krankheiten“ gefährlich werden. Fünf solcher neuen Zoonosen treten jedes Jahr beim Menschen auf. Jede einzelne hat das Potenzial eine Pandemie auszulösen. Etwa 30% dieser Virensprünge lassen sich auf Eingriffe des Menschen in die Natur zurückführen. Weil Menschen Platz für Rinderweiden und Sojaplantagen schaffen, nach Bodenschätzen schürfen, oder Werthölzer vermarkten wollen, schwinden die Regenwälder in Südostasien, dem Kongo- und dem Amazonasbecken. Das alles darf niemandem egal sein, denn die Regenwaldzerstörung ebnet nicht nur gefährlichen Krankheiten den Weg bis in die City Londons, die Wall Street oder das Bankenviertel in Frankfurt, sondern bringt unser Erdsystem immer näher von gefährlichen Kipppunkten. Ein solcher Kipppunkt wird etwa im Amazonasbecken erreicht, wenn 22% - 24% der Waldfläche verschwunden sind. Sind wir davon weit entfernt? Leider nein. 18% des Amazonaswaldes sind bereits verschwunden, mehr als 38% des verbleibenden Waldes sind degradiert.

Was bedeutet es aber, wenn wir den „Tipping Point“ des Amazonas erreichen? In diesem Fall stirbt der Wald nach und nach ab, egal, ob wir noch einen weiteren Baum fällen oder nicht. Weil das schnell und flächendeckend passieren wird, können wir nicht dagegen aufforsten. Das würde auch deshalb gar nichts bringen, weil Regenwälder nicht da stehen, wo es regnet, sondern die Niederschläge vor Ort generieren. Kein Wald, kein Regen also und das nicht nur an Ort und Stelle, sondern im Falle des Amazonas auch nicht mehr in Mittel- und Nordamerika, wo nicht nur die Landwirtschaft dringend auf dieses Wasser angewiesen ist.

Pro Stunde verlieren wir auf der Erde vermutlich 1-2 Arten.

Ist also alles ausweglos?

Keinesfalls, wenn wir rasch und effektiv handeln. Pro Stunde verlieren wir auf der Erde vermutlich 1-2 Arten. D.h. wir haben keine Zeit unsere Ziele mit Zeithorizonten von Jahrzehnten zu versehen. Damit endlich gehandelt wird, muss so manch ein Akteur (auch im Finanzsektor) zwei Dinge verstehen. 1. Der Satz „Wir müssen Geld verdienen.“ kann nur im Kontext der Einhaltung planetarer Grenzen und dem Erhalt von Biodiversität und Ökosystemleistungen gedacht und gesagt werden. 2. Eine Messbarkeit im Sinne der letztendlichen Angabe einer Kennzahl, wie etwa „Bei Biodiversität stehen wir bei Vier, Fünf wäre aber besser.“, wird es so schnell nicht geben. Wer darauf wartet, bereitet (wenn auch nicht willentlich) der weiteren Zerstörung unserer Lebensgrundlage den Weg.

Die gute Nachricht: Es entstehen gerade ganz neue Finanz- und Investmentprodukte, die auf dem Erhalt und der Förderung von Biodiversität basieren. In Zukunft werden Investitionen in Naturerhalt solche in Naturzerstörung hoffentlich in großem Umfang ablösen. Die zweite gute Nachricht gibt es für die Welt um uns. Der ist es nämlich ziemlich egal, ob wir uns klug und vernünftig verhalten, oder weitermachen wie bisher. Dass der Mensch erst alle Natur um sicher herum zerstört, bevor er selbst ausstirbt, kann getrost als Unsinn angesehen werden. Wir sterben schon im Mittelfeld aus und machen dann den hartgesottenen Tier- und Pflanzenarten, die weniger anspruchsvoll sind wieder Platz.

Buch Cover Wal macht Wetter - Dr. Frauke Fischer

Weiteres Wissen über Biodiversität und den Zusammenhang mit Klima bzw. Klimawandel lesen Sie in dem kürzlich veröffentlichten Buch "Wal macht Wetter - Warum biologische Vielfalt unser Klima rettet".

Die Biologin Frauke Fischer und die Wirtschaftswissenschaftlerin Hilke Oberhansberg erzählen mit viel Charme, warum Koalas die Klimakrise Bauchschmerzen bereitet, wie Wale Wetter machen, Korallen Fluten stoppen und warum wir der Natur eigentlich nur wieder genügend Raum geben müssen, damit das Leben auf diesem Planeten lebenswert bleibt.

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Quellen

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