Das Problem ist lange bekannt
Lebensversicherer konnten mit ihrem großen, trägen Hauptgeschäft viele Jahre profitabel arbeiten, ohne sich abseits strategischer und taktischer Adjustierungen großartig anpassen zu müssen. Doch diese Zeiten sind längst vorbei.
Schon im Jahr 2015 bestand dem Financial Stability Review der EZB zufolge allgemeiner Konsens, dass dauerhaft niedrige Zinsen das Hauptrisiko für europäische Versicherer sind. Insgesamt besteht dem Bericht zufolge ein hochsignifikanter Zusammenhang zwischen langfristigen Anleiherenditen und der Rentabilität der Versicherer. [1]
Das Hauptproblem: Aus früheren Zeiten bestehende Lebensversicherungsverträge sind in Europa und vor allem in Deutschland durch hohe garantierte Renditen gekennzeichnet. In Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen kann das zur Bedrohung für die Profitabilität, aber auch die Solvenz der Unternehmen werden – vor allem dann, wenn die Altverträge einen hohen Anteil ausmachen.
Zwei Kanäle
Konkret wirken sich die Niedrigzinsen über den Einkommens- und den Bilanzkanal aus.
Auswirkungen der Niedrigzinsen über den Einkommenskanal:
Über den Einkommenskanal leiden die Kapitalerträge der Versicherer. Die Ursache: Der Netto-Cashflow, der sich aus den gezahlten Prämien der Kunden sowie fällig werdenden Anlagen ergibt, muss nach und nach zu niedrigeren Zinsen reinvestiert werden. Das heißt aber auch, dass sich dieser Effekt nur langsam entwickelt. Kleinere und mittelgroße, nicht in andere Geschäftsbereiche diversifizierte Lebensversicherer sind in der Regel stärker exponiert. [1]

Die Grafik zeigt schematisch den Zusammenhang der Restlaufzeiten (in Jahren) von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten in der Bilanz. Die Duration kann dagegen je nach Zinsniveau variieren.
Quelle: Berdin, E. / Gründl, H. (2015), The Effects of a Low Interest Rate Environment on Life Insurers, SAFE Working Paper No. 65, S. 44
Auswirkungen der Niedrigzinsen über den Bilanzkanal:
Über den Bilanzkanal wirken sich niedrige Zinsen anhand der Marktbewertungen direkt und unmittelbar auf die Bilanz der Versicherer aus. Infolge der fallenden Zinsen und des entsprechenden Kursanstiegs der bestehenden Anleihen erhöhten sich zwar die Aktiva, aber durch den parallelen Diskontierungseffekt auch die aufgrund längerer Duration schwerer wiegenden Passiva. Bei marktkonformer Bewertung, wie sie in Solvency II vorgeschrieben ist, sind deshalb Versicherer mit großem Durations-Missverhältnis am anfälligsten für diesen Kanal.

Aufgrund des langfristigen Horizonts können Lebensversicherer ihre Anlagen in der Regel bis zur Fälligkeit halten und Marktschwankungen aushalten. Das gilt aber nur, wenn sie ein gut ausbalanciertes Asset-Liability-Management fahren. Das war und ist bei den deutschen Versicherern aber nicht der Fall. Die Grafik zeigt exemplarisch die Auswirkungen eines (sehr großen) Durations-Mismatchs auf den Gegenwartswert von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, wenn ein Zinsrückgang um 200 Basispunkte erfolgt.
Quelle: Löfvendahl, G. / Yong, J. (2017), Insurance Supervisory Strategies for a Low Interest Rate Environment, FSI Insights on Policy Implementation No 4, S. 5
Auch dieses Problem ist lange bekannt. Schon im Jahr 2014 zeigte ein Stresstest der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA, dass Versicherer aus Deutschland und Österreich mit rund zehn Jahren die höchsten Mismatches aufwiesen. [1] Auch im Jahr 2019 zeigte das Financial Stability Review der Bundesbank, dass die deutschen Lebensversicherer ihren Kunden zu lange Garantien versprochen haben. Die Schlussfolgerung des Berichts lautete deshalb, dass niedrige Zinsen nach wie vor das Hauptrisiko der Lebensversicherer sind. [2]