Die eingangs erwähnte Studie wurde von Rob Arnott, Mark Clements, Vitali Kalesnik und Juhani Linnainmaa verfasst und trägt den kurzen, prägnanten Titel „Factor Momentum“ [1]. Statt einzelner Aktien – wie es beim klassischen Momentum-Effekt üblich ist – untersuchen die Forscher insgesamt 51 aus der wissenschaftlichen Literatur bekannte Renditefaktoren. Dazu zählen etwa Beta, Value und Size, aber auch der klassische Momentum-Faktor selbst.
Faktor-Momentum
Interessant ist die Studie vor allem deshalb, weil sie eine Performance-Persistenz auf der Meta-Ebene der Renditefaktoren zeigt. Konkret bedeutet das, dass die zuletzt besten und schlechtesten Faktoren dazu neigen, diese Entwicklung kurzfristig fortzusetzen. Oder vereinfacht ausgedrückt:
Wenn ein Faktor wie beispielsweise der bekannte Momentum-Effekt erst einmal in Fahrt kommt, dann neigt er dazu, kurzfristig weiter anzuhalten.
Besitzt der Effekt dagegen wie beispielsweise Value in den letzten Jahren ein schwaches Momentum, wird sich die Underperformance zunächst eher fortsetzen.
Konkret untersuchen die Forscher den US-Markt im Zeitraum von 1963 bis 2016. Dabei weisen sie stabile Überrenditen für Faktor-Momentum auf Basis eines Cross-Sectional-Ansatzes nach, die einer annualisierten Durchschnittsrendite von 10,5 Prozent entsprechen. Anders als bei Effekten, die früher funktionierten und dann verschwanden, ließen die Renditen auch in den letzten Jahren nicht erkennbar nach. Ebenfalls interessant: Im Gegensatz zum Momentum-Effekt, der von gelegentlichen Crashs heimgesucht wird, weist das übergeordnete Faktor-Momentum in diesen Phasen teils sogar besonders positive Phasen auf (zum Beispiel 2009, siehe Abb. 1).
Die nachfolgende Grafik zeigt die kumulativen Log-Renditen der Faktor-, Industry- und klassischen Momentum-Strategie sowie des Marktes (abzüglich T-Bills als risikoloser Zins). Die Faktor-Momentum-Strategie basiert auf einem Universum von 51 Faktoren und wählt die Top/Flop 8 für das Long- und Short-Portfolio aus (Ranking- und Holding-Zeitraum jeweils 1 Monat). Die Industry-Momentum-Strategie basiert auf 20 nach Marktkapitalisierung gewichteten Portfolios der einzelnen Branchen. Die klassische Momentum-Strategie entspricht dem Momentum-Faktor nach Carhart. Alle Strategien sind zur besseren Vergleichbarkeit um die Renditen des 5-Faktor-Modells bereinigt und auf die Volatilität der Industry-Momentum-Strategie skaliert.
Eine einfache und profitable Handelsstrategie
Am stärksten ist Faktor-Momentum der Studie nach, wenn die Ranking- und Holding-Periode jeweils nur einen Monat beträgt.
Daraus ergibt sich die mögliche Long-Strategie, systematisch nur auf diejenigen Faktoren zu setzen, die im letzten Monat am stärksten waren. Das steht im Kontrast zum oft propagierten „Buy-and-Hold“ Ansatz, dauerhaft auf einen einzelnen Faktor zu setzen, der historisch die höchste Prämie lieferte – aber dabei auch alle Drawdowns mitnimmt.
Von den 51 untersuchten Faktoren liefern der Studie zufolge diejenigen mit Bezug zu finanzieller Schieflage, Illiquidität und Volatilität den größten Renditebeitrag. Dabei ist es nicht unbedingt notwendig, das Gesamtuniversum aller 51 Faktoren einzubeziehen. Bereits ein Set von zehn zufälligen Faktoren reicht nach Simulationen der Autoren für annähernd gleiche Ergebnisse aus. Selbst mit nur den fünf Fama/French-Faktoren – Beta, Size, Value, Investment und Profitability – ließ sich den Untersuchungen zufolge im betrachteten Zeitraum eine mittlere Jahresrendite von acht Prozent erzielen, wenn jeweils der stärkste (schwächste) Faktor des letzten Monats gekauft (geshortet) wurde.
Dass sich Faktor-Momentum grundsätzlich vom klassischen Momentum-Effekt bei Aktien unterscheidet, zeigt sich der Studie zufolge daran, dass Faktor-Momentum am besten auf 1-Monats-Basis funktioniert, während das klassische Momentum auf dieser Zeitebene zum kurzfristigen Reversal neigt und sich erst über sechs bis zwölf Monate ausbildet. Die Forscher weisen außerdem darauf hin, dass Faktor-Momentum auch einen anderen bekannten Effekt, das Industry Momentum, vollständig erklärt.
Die Kosten berücksichtigen
Das Ganze hat aus praktischer Sicht aber einen Haken: Die Abbildung der einzelnen Faktoren über entsprechend große, diversifizierte Aktienportfolios ist vergleichsweise teuer. Zusätzlich fallen durch die monatlichen Anpassungen auch entsprechende Transaktionskosten an, sodass in der realen Umsetzung insgesamt mit erheblichen Implementierungskosten zu rechnen ist.
Trotzdem ist die Studie ein großer Fortschritt für das Verständnis von Faktorprämien. Denn schon die Tatsache, dass auf Ebene großer Faktorportfolios überhaupt Momentum besteht, spricht für die universelle Natur des Phänomens. Schließlich hätte man auch vermuten können, dass Momentum nur auf der Ebene einzelner Aktien aufgrund idiosynkratischer Risiken funktioniert und in Faktor-Portfolios „weg diversifiziert“ wird.