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29
06
2021

Momentum auf der Meta-Ebene.

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Der Momentum-Effekt ist schon lange bekannt, aber trotzdem nach wie vor an den Märkten nachweisbar. Dieser Beitrag stellt eine interessante Studie vor, die das Momentum-Konzept auf der Meta-Ebene untersucht – ebenfalls mit einem klaren Ergebnis. 

Die eingangs erwähnte Studie wurde von Rob Arnott, Mark Clements, Vitali Kalesnik und Juhani Linnainmaa verfasst und trägt den kurzen, prägnanten Titel „Factor Momentum“ [1]. Statt einzelner Aktien – wie es beim klassischen Momentum-Effekt üblich ist – untersuchen die Forscher insgesamt 51 aus der wissenschaftlichen Literatur bekannte Renditefaktoren. Dazu zählen etwa Beta, Value und Size, aber auch der klassische Momentum-Faktor selbst.

Faktor-Momentum

Interessant ist die Studie vor allem deshalb, weil sie eine Performance-Persistenz auf der Meta-Ebene der Renditefaktoren zeigt. Konkret bedeutet das, dass die zuletzt besten und schlechtesten Faktoren dazu neigen, diese Entwicklung kurzfristig fortzusetzen. Oder vereinfacht ausgedrückt:

Wenn ein Faktor wie beispielsweise der bekannte Momentum-Effekt erst einmal in Fahrt kommt, dann neigt er dazu, kurzfristig weiter anzuhalten.

Besitzt der Effekt dagegen wie beispielsweise Value in den letzten Jahren ein schwaches Momentum, wird sich die Underperformance zunächst eher fortsetzen.

Konkret untersuchen die Forscher den US-Markt im Zeitraum von 1963 bis 2016. Dabei weisen sie stabile Überrenditen für Faktor-Momentum auf Basis eines Cross-Sectional-Ansatzes nach, die einer annualisierten Durchschnittsrendite von 10,5 Prozent entsprechen. Anders als bei Effekten, die früher funktionierten und dann verschwanden, ließen die Renditen auch in den letzten Jahren nicht erkennbar nach. Ebenfalls interessant: Im Gegensatz zum Momentum-Effekt, der von gelegentlichen Crashs heimgesucht wird, weist das übergeordnete Faktor-Momentum in diesen Phasen teils sogar besonders positive Phasen auf (zum Beispiel 2009, siehe Abb. 1).

Die nachfolgende Grafik zeigt die kumulativen Log-Renditen der Faktor-, Industry- und klassischen Momentum-Strategie sowie des Marktes (abzüglich T-Bills als risikoloser Zins). Die Faktor-Momentum-Strategie basiert auf einem Universum von 51 Faktoren und wählt die Top/Flop 8 für das Long- und Short-Portfolio aus (Ranking- und Holding-Zeitraum jeweils 1 Monat). Die Industry-Momentum-Strategie basiert auf 20 nach Marktkapitalisierung gewichteten Portfolios der einzelnen Branchen. Die klassische Momentum-Strategie entspricht dem Momentum-Faktor nach Carhart. Alle Strategien sind zur besseren Vergleichbarkeit um die Renditen des 5-Faktor-Modells bereinigt und auf die Volatilität der Industry-Momentum-Strategie skaliert.

Bild 1) Faktor-Momentum (1963-2016)
Quelle: Arnott, R. / Clements, M. / Kalesnik, V. / Linnainmaa, J. (2019), Factor Momentum, S. 40

Eine einfache und profitable Handelsstrategie

Am stärksten ist Faktor-Momentum der Studie nach, wenn die Ranking- und Holding-Periode jeweils nur einen Monat beträgt.

Daraus ergibt sich die mögliche Long-Strategie, systematisch nur auf diejenigen Faktoren zu setzen, die im letzten Monat am stärksten waren. Das steht im Kontrast zum oft propagierten „Buy-and-Hold“ Ansatz, dauerhaft auf einen einzelnen Faktor zu setzen, der historisch die höchste Prämie lieferte – aber dabei auch alle Drawdowns mitnimmt.

Von den 51 untersuchten Faktoren liefern der Studie zufolge diejenigen mit Bezug zu finanzieller Schieflage, Illiquidität und Volatilität den größten Renditebeitrag. Dabei ist es nicht unbedingt notwendig, das Gesamtuniversum aller 51 Faktoren einzubeziehen. Bereits ein Set von zehn zufälligen Faktoren reicht nach Simulationen der Autoren für annähernd gleiche Ergebnisse aus. Selbst mit nur den fünf Fama/French-Faktoren – Beta, Size, Value, Investment und Profitability – ließ sich den Untersuchungen zufolge im betrachteten Zeitraum eine mittlere Jahresrendite von acht Prozent erzielen, wenn jeweils der stärkste (schwächste) Faktor des letzten Monats gekauft (geshortet) wurde.

Dass sich Faktor-Momentum grundsätzlich vom klassischen Momentum-Effekt bei Aktien unterscheidet, zeigt sich der Studie zufolge daran, dass Faktor-Momentum am besten auf 1-Monats-Basis funktioniert, während das klassische Momentum auf dieser Zeitebene zum kurzfristigen Reversal neigt und sich erst über sechs bis zwölf Monate ausbildet. Die Forscher weisen außerdem darauf hin, dass Faktor-Momentum auch einen anderen bekannten Effekt, das Industry Momentum, vollständig erklärt.

Die Kosten berücksichtigen

Das Ganze hat aus praktischer Sicht aber einen Haken: Die Abbildung der einzelnen Faktoren über entsprechend große, diversifizierte Aktienportfolios ist vergleichsweise teuer. Zusätzlich fallen durch die monatlichen Anpassungen auch entsprechende Transaktionskosten an, sodass in der realen Umsetzung insgesamt mit erheblichen Implementierungskosten zu rechnen ist.

Trotzdem ist die Studie ein großer Fortschritt für das Verständnis von Faktorprämien. Denn schon die Tatsache, dass auf Ebene großer Faktorportfolios überhaupt Momentum besteht, spricht für die universelle Natur des Phänomens. Schließlich hätte man auch vermuten können, dass Momentum nur auf der Ebene einzelner Aktien aufgrund idiosynkratischer Risiken funktioniert und in Faktor-Portfolios „weg diversifiziert“ wird.

Die einzelnen Renditefaktoren repräsentieren letztlich die großen Stimmungstrends und „Stories“, die sich an den Märkten über längere Zeiträume abspielen.

Weitere Studien

In einer neueren Studie, „Factor Momentum Everywhere“ [2], kommen die Autoren Tarun Gupta und Bryan Kelly auf Basis von insgesamt 65 Faktoren zu ähnlichen Ergebnissen. Sie zeigen, dass einzelne Faktoren regelmäßig Time Series Momentum aufweisen und erstellen eine darauf basierende Gesamtstrategie. Zudem belegen sie den Effekt auch für Daten von internationalen Aktienmärkten. Den Autoren zufolge ist es besonders interessant, Faktor-Momentum, klassisches Momentum und Value in einem Portfolio zu kombinieren.

Ebenfalls interessant klingt die Idee, andere Faktoren mithilfe ihres jeweiligen Momentums zu timen. Diesen Aspekt spricht das neueste Paper hin, das sich mit diesem Thema befasst: „Factor Momentum and the Momentum Factor“ [3] von Sina Ehsani und Juhani Linnainmaa. Demnach sind die meisten Renditefaktoren autokorreliert: Und da Momentum diese Autokorrelationen am besten beschreibt, ist es ein übergeordnetes Phänomen, das mit allen Faktoren in Verbindung steht.

Konkret zeigen die Untersuchungen, dass Faktoren nach positiven (negativen) Jahren im Durchschnitt hohe 51 (niedrige 6) Basispunkte pro Monat erzielen. Fast schon kurios ist dabei, dass sich sogar der Momentum-Faktor selbst am besten mit Faktor-Momentum beschreiben lässt. Die nachfolgende Grafik zeigt die Renditen der gleichgewichteten Winner- und Loser-Faktorportfolios im Zeitablauf mit monatlichen Rebalancings. Time Series Winner (Loser) sind Faktoren mit positiver (negativer) Rendite, Cross Sectional Winner (Loser) sind Faktoren mit Renditen über (unter) dem Median, jeweils bezogen auf das vorherige Jahr. Die Strategien sind zur besseren Vergleichbarkeit auf die Standardabweichung des gesamten, gleichgewichteten Faktorportfolios skaliert.

Bild 2) Time-Series- und Cross-Sectional-Momentum
Quelle: Ehsani, S. / Linnainmaa, J. (2020), Factor Momentum and the Momentum Factor, S. 12

Eine Schlussfolgerung aus diesen Erkenntnissen ist, dass die einzelnen Renditefaktoren letztlich die großen Stimmungstrends und „Stories“ repräsentieren, die sich an den Märkten über längere Zeiträume abspielen – und die sich von Zeit zu Zeit je nach Marktphase verändern. Momentum lässt sich demnach als Bindeglied zwischen der kurzfristigen Preisfindung durch Angebot und Nachfrage und dem Zustandekommen längerfristiger Anlagetrends, die sich durch Faktoren quantifizieren lassen, verstehen.

Fazit

Faktorprämien weisen einen kurzfristigen Momentum-Effekt auf, der sich für Timing-Zwecke nutzen lässt.

Quellen

[1] Arnott, R. / Clements, M. / Kalesnik, V. / Linnainmaa, J. (2019), Factor Momentum, Research Affiliates & University of Southern California and NBER
[2] Gupta, T. / Kelly, B. (2019), Factor Momentum Everywhere, Yale ICF Working Paper Nr. 2018-23
[3] Ehsani, S. / Linnainmaa, J. (2020), Factor Momentum and the Momentum Factor, Working Paper

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