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20
10
2022

ESG: Keine eierlegende Wollmilchsau.

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Prof. Dr. Thomas Mayer
Unbestritten ist, dass ein Unternehmen, das schlecht geführt ist, unsozial handelt und die Umwelt schädigt, kein geeignetes Anlageobjekt ist. Prof. Dr. Thomas Mayer plädiert für den gesunden Menschenverstand. Die ESG-Regularien schaden mehr, als das sie nutzen.

Im Jahr 2004 veröffentlichte eine Gruppe von privaten und öffentlichen Finanzorganisationen einen Bericht mit dem Titel „Who Cares Wins“, den sie auf Einladung des UN-Generalsekretärs Kofi Annan erstellt hatte. Ziel des Reports war es, Leitlinien und Empfehlungen zu entwickeln, wie man Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Aspekte besser in der Vermögens-verwaltung, im Wertpapierhandel und beim Finanzresearch berücksichtigen könnte.

In dem Bericht heißt es: „A better inclusion of environmental, social and corporate governance (ESG) factors in investment decisions will ultimately contribute to more stable and predictable markets, which is in the interest of all market actors“ — „Eine bessere Einbeziehung von Umwelt-, sozialen und Unternehmungsführungsfaktoren in Investmententscheidungen wird zu stabileren und vorhersagbareren Märkten beitragen, was im Interesse aller Marktteilnehmer ist“.

Kein mit gesundem Menschenverstand begabter Finanzanalyst oder Unternehmenslenker hätte gegen die These Einwände vorbringen können, dass eine Unternehmung, die schlecht geführt ist, sich unsozial gebärdet und systematisch die Umwelt schädigt, langfristig kein attraktives Anlageobjekt darstellt und damit keine dauerhafte Daseinsberechtigung am Markt genießen sollte. So gesehen erschien der Aufruf, bei der Anlage „ESG-Kriterien“ zu berücksichtigen, wie die Forderung, mit gesundem Menschenverstand anzulegen. Allerdings ist gesunder Menschenverstand oft ein allzu knappes Gut. Die „ESG-Kriterien“ des Annan-Berichts wurden auf Teilaspekte verengt, die ein mechanisches Ratingsystem und staatliche Bürokratiemonster hervorbrachten.

Ratingagenturen haben verschiedene „ESG-Ratings“ entwickelt, die die Umweltfreundlichkeit, Sozialverträglichkeit und ordentliche Betriebsführung nach bürokratisch vorgegebenen Kriterien messen sollen. Damit gehen die Agenturen aber weit über das hinaus, was quantitativ erfasst werden kann. Ratings entstanden ursprünglich, um die Ausfallwahrscheinlichkeit von Krediten zu messen. Obwohl auch dabei qualitative Faktoren eine Rolle spielen, kann man anhand von Kennzahlen aus der Gewinn-und-Verlustrechnung sowie der Bilanzanalyse eine quantitative Aussage wagen.

Dagegen ist das Konzept der Nachhaltigkeit sehr komplex und beinhaltet Zielkonflikte. Weder kann es mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen widerspruchsfrei definiert noch auf die drei Faktoren „E“, „S“ und „G“ heruntergebrochen werden. Eine widerspruchsfreie Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele oder die Überführung der ESG-Kriterien in eine Maßzahl zum „Rating“ ist unmöglich. Subjektive und selektive Einschätzungen dominieren dabei. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass die von den Agenturen erstellten ESG-Ratings oft nicht miteinander konsistent sind.

Anlageuniversum verengt

Auf den Kapitalmärkten haben Fondsanbieter ihren Kunden höhere Erträge aus „nachhaltigen“ („ESG“) Anlagen versprochen. Möglicherweise wurden sie dabei von den Einschätzungen des Annan-Reports beeinflusst. Tatsächlich haben ESG-Anlagen zeitweilig größere Preissteigerungen verzeichnet als der gesamte Aktienmarkt. Grund dafür waren aber politisch angeregte Geldzuflüsse und nicht höhere Gewinnaussichten dieser Unternehmungen, die höhere Renditen rechtfertigen würden. Langfristig sagt der gesunde Menschenverstand, dass nach ESG-Kriterien ausgewählte Anlagen eine geringere Rendite abwerfen müssen als der gesamte Markt. Denn wenn das Anlageuniversum auf ESG-konforme Titel eingeschränkt wird und damit Anlagegelder auf die begrenzte Auswahl von Titeln konzentriert werden, sind Mindererträge zu erwarten.

Tatsächlich sind die Versprechungen der Anbieter auch nicht erfüllt worden. Insbesondere nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine müssen sie nun unbequeme Fragen beantworten: Warum hatten viele russische Unternehmen ähnliche ESG-Ratings erhalten wie vergleichbare europäische Unternehmen? Wie war es möglich, dass rund 300 ESG-Fonds in Russland engagiert waren und ihre Anleger mit Verlusten von mehr als acht Milliarden US-Dollar rechnen müssen?

Wie war es möglich, dass rund 300 ESG-Fonds in Russland engagiert waren?
Prof. Dr. Thomas Mayer

Aswath Damodaran, Professor of Finance an der Stern School of Business der New York University, kommentiert mit einem gewissen Zynismus: „Ich glaube, dass ESG im Grunde ein Schwindel zum Wohlfühlen ist, der Berater reich macht, während er Unternehmen und Investoren, denen sie helfen wollen, und erst recht nicht der Gesellschaft etwas nutzt.“ Denn wenn Anlagegelder auf den öffentlichen Kapitalmärkten oder Bankkredite von „braunen“ zu „grünen“ Unternehmen durch die Politik umgelenkt werden, eröffnen sich für Private-Equity-Anleger rentable Anlagemöglichkeiten in „braunen“ Unternehmen. Die Kapitalkosten dieser Unternehmen steigen nur wenig und ihre Produktion geht wie gewohnt weiter.

Weniger Nachhaltigkeit

Auf der öffentlichen Seite richtete sich der Fokus auf den Klimaschutz, der maßgeblich durch Minderung des Ausstoßes von Kohlendioxid verfolgt wird. Die Europäische Union veröffentlichte im März 2020 eine „Taxonomie“, die in einem Katalog im Umfang von rund 600 Seiten die Klima und Umweltbelastung der Wirtschaftssektoren aufschlüsselt. Auf dieser Grundlage sollen nicht nur Finanzdienstleister ihre Kunden über Anlagen informieren, sondern auch Banken ihre mit dem Klimawandel verbundenen Kreditrisiken bewerten. Auch die Europäische Zentralbank will ihre Geldpolitik grüner und damit nachhaltiger gestalten, obwohl sich daraus Risiken für die in ihrem Mandat verankerte Sicherung der Preisstabilität ergeben können.

Das umfangreiche Regularium der EU soll einerseits für mehr Informationen sorgen, die Investoren in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen können. Andererseits hat es aber auch zur Folge, dass sich die Analyse von Anlagen auf von offizieller Seite propagierte Formeln reduziert. So werden Ressourcen nicht dort eingesetzt, wo sie am effizientesten genutzt werden und der Gesellschaft den höchsten Mehrwert beisteuern können, sondern dort, wo sie durch Regeln und Vorgaben hingelenkt werden. Es ist nicht schwer, daraus abzuleiten, dass sich nicht nur die Qualität von Anlageentscheidungen verringert, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Kapitalproduktivität sinkt, was dann statt zu mehr zu weniger „Nachhaltigkeit“ führt.

Schlussendlich bedeutet „nachhaltig“ auf dem Feld von Wirtschaft und Finanzen „langfristig ertragreich“. Natürlich ist dies nur möglich, wenn die Lebensgrundlagen bewahrt werden und sozialverträglich in effizienten Strukturen gewirtschaftet wird. Dafür kann man aber weder Schablonen erstellen noch Zeitpläne für die Zielerreichung festlegen.

Wunsch und Wirklichkeit

Zur Bewahrung unserer Lebensgrundlagen gehört nicht nur der Schutz des Klimas, sondern auch der Schutz der freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Dazu braucht man auch Waffen, die oft als nicht „ESG-konform“ gewertet werden. Und Klimaschutz ist nicht nachhaltig, wenn die Schutzmaßnahmen soziale Konflikte schüren, zu ineffizienten Verwaltungsstrukturen führen und wenn durch Vorschriften Innovationen verhindert werden, wie es durch den „Green Deal“ und die Taxonomie der EU zu befürchten ist.

Gewinn ist Voraussetzung für sinnvolles wirtschaftliches Handeln zum Nutzen aller.
Prof. Dr. Thomas Mayer

Quellen

Dieser Beitrag wurde zuerst abgedruckt in der Sonderveröffentlichung „Wohlstand für Alle“ der Ludwig-Erhard-Stiftung. Wir danken Dr. Frank-B. Werner und dem Verlag HolderstockMedia für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

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