Die Dimensionen hat die niederländische Zentralbank für ihr Land beziffert: Mehr als ein Drittel der 1,4 Billionen Euro schweren finanziellen Vermögenspositionen des niederländischen Finanzsektors hängt vom ökologischen Reichtum ab, das heißt 510 Milliarden Euro an weltweit platzierten Finanzierungen sind vom Biodiversitätsverlust bedroht. Dadurch haben Finanzakteure einen großen Hebel für Entscheidungen für oder gegen den Schutz biologischer Vielfalt.
Engagieren sich Investoren?
Fast nicht. Viele Kapitaleigner beziehen sich zwar auf die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele, die SDGs von 2015, aber das Leben an Land und im Wasser beschäftigt laut dem Researchhaus Novethic nur einzelne. Das gilt selbst für wirkungsorientierte Investoren: Die SDGs spielen als weltweiter Referenzrahmen eine immer wichtigere Rolle, doch der Fokus liegt auf wenigen dieser Ziele, wie das Centrefor Social Investment der Universität Heidelberg ermittelte. Befragt nach dem größten globalen Bedarf, nennen die Anleger Klimaschutz, Gesundheit und Wohlergehen, bezahlbare und saubere Energie sowie hochwertige Bildung – nicht aber die natürlichen Lebensgrundlagen, die eine Basis auch für soziale Gerechtigkeit sind.
Laut einer Studie der Umweltorganisation Global Canopy von Anfang 2021 hatten fast 73 Prozent von 150 analysierten Finanzinstituten keine Vorgaben dazu, Regenwaldzerstörung durch Finanzierungen einzuschränken. Die Umweltorganisation Global Witness prangert alljährlich die Finanzierung von Entwaldung durch mehr als 300 Banken und Großanleger an. In einer Umfrage von Responsible Investor, der Weltnaturschutzorganisation IUCN und anderen Partnern aus dem Finanzwesen und dem Naturschutz äußerten sich fast vier Fünftel der antwortenden Häuser aus 35 Ländern besorgt über den Biodiversitätsverlust. Aber das zeigt sich nicht in Strategien oder Leitlinien: Mehr als 90 Prozent der auf eine diesbezügliche Frage antwortenden 250 Investoren haben keine messbaren Biodiversitätsziele.
Investoreninitiative CDP Forests engagiert sich gegen Abholzung
Lediglich die Investoreninitiative CDP hat die Brisanz erkannt. Die von besorgten Investoren 2010 gegründete und unter dem Dach des CDP wachsende Initiative Forests Disclosure Project warnt: „Entwaldung stellt ein reales Geschäftsrisiko dar.“ CDP, inzwischen eine NGO, will nicht hinnehmen, dass Unternehmen sich kaum damit befassen. Darum befragt sie jährlich im Auftrag von kapitalkräftigen Investoren Hunderte große Unternehmen danach, was sie gegen Entwaldung strategisch und praktisch tun.
Kritik gibt es auch an Kreditgebern. Deutschlands 15 größte Banken sind laut einer WWF-Studie vom Herbst 2021 sehr zögerlich, existierende Ansätze und Methoden zu nutzen, um mit biodiversitätsbezogenen Risiken umzugehen. Es gibt demnach keine Visionäre, keine Vorreiter, nicht mal Mitläufer! Doch die Europäische Zentralbank erwartet von Banken, ihre Umweltrisiken stärker auszuweisen, schließlich seien unterschiedlichste Umweltfaktoren wie Wasserstress,der Biodiversitätsverlust, Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung ursächlich für die sie betreffenden Risiken.
Die EZB fordert seit 2020 ein aktives Management und verwies damals auf eine nichtgenannte Bank, die die Auswirkungen ihrer Finanzierung auf die Umwelt bewertet. Deren Rating leite sich aus einer Bewertung der Klimaauswirkungen des jeweiligen Geschäfts ab und berücksichtige alle bedeutenden umweltbezogenen Faktoren wie Wasserverbrauch, Umweltverschmutzung, Abfall und Biodiversität. Negative Wirkungen bedeuten mehr Risiko und können Kredite verteuern oder Anleger verprellen. Doch die Banken sind längst nicht so weit, sich darauf einzustellen, wie Bundesbank-Vorständin Sabine Mauderer Mitte 2022 gegenüber dem Handelsblatt-Briefing Nachhaltige Investments erklärte.
Regulatorische Bedingungen benachteiligen die Natur
Dass die meisten Investoren und Kreditgeber die mit Entwaldung und Ökosystemverlusten verbundenen Risiken meist ignorieren, liegt u.a. daran, dass sich Naturausbeutung finanziell noch lohnt. Zudem ist es aufwändig, Biodiversitätskriterien zu integrieren. Untätigkeit oder Ignoranz hängen aber auch stark an politischen Rahmenbedingungen, die falsche Anreize setzen. Mangels Fokus der Politik auf den Erhalt von Biodiversität fehlen regulatorische Vorgaben oder Impulse für Investoren.
Doch in jüngster Zeit tut sich etwas im Zuge des EU-Aktionsplans Sustainable Finance: Seit März 2021 sind Treuhänder in der EU verpflichtet, zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken zu berichten. Diese Offenlegungspflicht (SFDR) heißt aber nicht, dass sich die Institute für Biodiversitätsschutz einsetzen müssen. Auf 54 Seiten der diesbezüglichen Verordnung sind Ökosysteme gar nicht genannt und biologische Vielfalt nur ein Mal in der Definition einer „nachhaltigen Investition“, die dazu beitrüge.
Auch die EU-Taxonomie nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten, die sich für nachhaltig orientierte Investments eignen, verlangt kein Engagement. Erster Baustein ist das Klassifizierungssystem klimaverträglicher und für die Klimaanpassung geeignete Aktivitäten. Obwohl Biodiversität für beides unerlässlich ist, gilt lediglich die „Do-no-significant-harm“-Regel, wonach starke Eingriffe in Ökosysteme tabu sind. Finanzinstitute und Unternehmen müssen seit Anfang 2022 für das Geschäftsjahr 2021 berichten, inwieweit sie die Klima-Taxonomien erfüllen.
Aber es soll eine Taxonomie zur Biodiversität entstehen. Die EU-Platform on Sustainable Finance, eine von der EU-Kommission beauftragte Fachgruppe, hat hierfür 2022 einen Entwurf gemacht, möglicherweise könnte sie schon 2023 greifen.
Wie können Financiers negative Effekte auf Ökosysteme mindern?
Investoren können schon jetzt aktiv werden, um Portfolio-Risiken zu sondieren, ein Risikomanagement aufzubauen und sich gegen Entwaldung zu engagieren. Die Möglichkeiten sind vielfältig.
Geldgeber*innen können Anleihen von Staaten ausschließen, die die UN-Biodiversitätskonvention (CBD) nicht ratifiziert haben. Manche Publikumsfonds schließen auch Staaten aus, die dagegen verstoßen. Nordea AM, ein großer norwegischer Vermögensverwalter, stoppte 2019 den Kauf brasilianischer Staatsanleihen, weil die Regierung nicht genug gegen die Brandrodung in Amazonien unternahm. Bei Aktien oder Firmenanleihen können Analysten und Anleger recherchieren, ob sich ein Emittent mit Biodiversitätsrisiken seines Geschäftsmodells befasst und wie er damit umgeht. Einige Publikums- und Spezialfonds haben Artenschutzkriterien.
Was nutzt ein emissionsarmer Papierhersteller, der sein Holz aus Kahlschlägen bezieht?
Manche Investoren fragen, wie nicht nur Öko-Firmen, sondern auch Börsenkonzerne ökologischen Reichtum in Strategien, Entscheidungsfindung oder Geschäftsmodelle integrieren. Bei Klimainvestments ist es zu kurzsichtig, nur CO2-Emissionen zu beachten, nicht aber den Schutz von Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Grasland. Was nutzt ein emissionsarmer Papierhersteller, der sein Holz aus Kahlschlägen bezieht? Einige Konzerne vernichten Mangroven – Kinderstubeunzähliger Arten, Lebensgrundlage von Millionen Menschen – durch Fabriken oder Öltanker-Unfälle wie 2020 an den Korallenriffen vor Mauritius. "Mangrovenlebensräume verzeichnen einen stärkeren Rückgang als Korallenriffe oder tropische Regenwälder", warnt Udo Gattenlöhner vom Global Nature Fund (GNF).
Zu hinterfragen sind nachwachsende Rohstoffe, die wie Biodiesel aus Palmöl klimaschädlich sind. Bei Immobilien und Großprojekten ist zu prüfen, ob Ökosysteme weichen müssen und gute Ausgleichsflächen entwickelt werden, nicht bloß Dachbegrünung. Achtzugeben ist bei konventionellen Akteuren: So sagte der Fondsgigant BlackRock 2020 zu, Kohleinvestments zu veräußern, doch der US-Konzern gehört laut NGOs zu den größten Anteilseignern von Unternehmen, die Wälder am stärksten abholzen.
Als aktive Anteilseigner den Wandel fordern
Überdies kann man aktiver Anteilseigner sein: niederländische Fondsanbieter verlangen von Palmölproduzenten einen nachhaltigeren Anbau oder schließen sie aus. Die Norges Bank IM, der Vermögensverwalter der Norwegischen Zentralbank, schließt Palmöl-Investments aus und spricht sowohl mit Banken, die Entwaldung finanzieren, als auch mit Firmen, die Soja und Fleisch aus Brasilien kaufen. 2019 haben 251 Großanleger mit addiert 17,7 Billionen Dollar verwalteter Vermögen von Unternehmen gefordert, sich für Regenwaldschutz einzusetzen.
Einen Anfangserfolg erzielte im Juli 2020 eine Gruppe namens „Investor Policy Dialogue on Deforestation" (IPDD) mit damals 34 meist europäischen Großanlegern, die addiert 4,6 Billionen Dollar verwalteten: Auf ihren öffentlichen Druck und ein persönliches Gespräch hin, verbot die brasilianische Regierung Brandrodung in Amazonien für 120 Tage. Mit der Äußerung „Wir wollen weiter in Brasilien investieren“ hatten sie die Regierung per offenen Brief aufgefordert, die Entwaldung zu beenden und die Rechte indigener Völker zu wahren. Die meisten Unterzeichner gehören auch zur Investor Initiative for Sustainable Forests.
"Der Brief der Investoren war die wirksamste internationale Initiative gegen die Amazonas-Brände der letzten Zeit", sagt Lutz Weischer, politischer Leiter von Germanwatch in Berlin, zu der Zeit gegenüber der Autorin. Da Verbote nicht überwacht würden und es zu illegaler Brandstiftung komme, „müssen die Investoren ihren Druck aufrechterhalten“. Das bewahrheitete sich, als im August 2020 erneut weitflächige Brände aufflammten. Es müsse viel mehr solcher Aktionen geben, sagte Klimaexperte Adam Pawloff von Greenpeace, „denn Investoren haben eine große Macht. Dass es eine unmittelbare öffentliche Reaktion gegeben hat, zeigt, dass solche Dialoge effektiv sind.“
Anfang 2021 führte IPDD ein Gespräch mit Brasiliens Vizepräsident Hamilton Mourão, der ihren Angaben zufolge zusagte, die illegale Entwaldung bekämpfen zu wollen. Die Investoren verlangen ein konsistentes regulatorisches Rahmenwerk. Ob sie sich werden durchsetzen können, bleibt abzuwarten. Inzwischen sind aus vielen Ländern weitere Kapitaleigner und Vermögensverwalter beigetreten: Derzeit wirken an der IPDD Investor Coalition insgesamt 61 Finanzinstitute mit addiert 8,8 Billionen Dollar verwalteter Vermögen mit (Juni2022). Wer unterschreibt, muss zu der Initiative beitragen, ist jedoch nicht verpflichtet, für das eigene Portfolio Konsequenzen aus gewonnenen Erkenntnissen zu ziehen. Die Unterzeichner werden nicht öffentlich genannt.
Vielfältige Anlageoptionen – Ausdauer nötig
Überdies existieren Anlagemöglichkeiten zugunsten von artenreichen Wäldern, Biolandbau oder naturbasierten Geschäftsmodellen. Erste Akteure handhaben Biodiversitätsschutz als ein Anlagekriterium und investieren z. B. in Erneuerbare-Energien-Projekte, die auf Geländeteilen Wald aufforsten. Zu manchem Geschäftsmodell gehört Naturschonung. So kauften Investoren 2019 eine Anleihe von Hylea Foods: Deren Geschäftsmodell basiert darauf, dass Paranussbäume nur in gesunden Ökosystemen in Regenwäldern wachsen. Sie sichert Tausenden Menschen ein Einkommen. Das macht Rodung weniger attraktiv für sie und schützt den Regenwald indirekt.
Europäische Investoren beteiligen sich seit 2016 am Eco-Business Fund, der z. B. die Umwandlung von Kaffee-Monokulturen in artenreiche Schatten-Plantagen finanziert, und seit 2019 am Sustainable Ocean Fund: Er gibt rund 100 Millionen US-Dollar an kleine und mittlere Firmen, die u. a. nachhaltige Fischerei betreiben, sich für Erhalt mariner und küstennaher Ökosysteme einsetzen und Plastikvermüllung der Ozeane durch Kreislaufwirtschaft senken.
Einzelne Anlageprodukte forsten in Ländern des Globalen Südens auf großen Flächenanteilen Mischwälder mit heimischen Arten, zum Naturschutz, auf. Unter plantagenähnliche Aufforstungen, auch mit mehreren, teils Früchte tragenden Baumarten, können Tiere weiden. Das sind Agroforste. Viele Projekte sind jung und können noch keine messbare Wirkung nachweisen. Darauf drängen Investoren allerdings zunehmend.
Auf jeden Fall müssen Geldgeber*innen ausdauernd sein – Bäume und Ökosysteme brauchen Zeit zum Entstehen und Wachsen. Und Direktinvestments bergen das Risiko des Totalverlusts. Aber: Ohne mutige Unternehmen und Investoren gäbe es keine Innovationen – auch nicht für die menschliche Lebensgrundlage.
Internationale Initiativen für Methodiken und um Biodiversität
Methodisch stehen Unternehmen und der Finanzsektor zwar am Anfang. Doch einige internationale Initiativen haben Leitlinien, Werkzeuge und Praxisbeispiele entwickelt für Naturkapitalbewertung, Risikomanagement, Firmen- und Projektprüfung (Due-Diligence) und für Transparenz und Berichterstattung. Darunter ist die TaskForce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD), die im Frühjahr 2022 Prototypen für einen Berichtsrahmen zu finanzrelevanten Naturaspekten des Wirtschaftens zur Diskussion gestellt hat. Der finale Rahmen ist für 2023 geplant.