Die Studie von Antje Biber, Dr. Tobias Raffel, Prof. Klement Tockner, entstanden in Zusammenarbeit mit Senckenberg Nature Research und dem FERI Cognitive Finance Institute
Executive Summary
Die biologische Vielfalt ist die Grundlage für mehr als 50 % der weltweiten Wirtschaftsleistungen und unser eigenes Überleben. Sie stellt Güter und Leistungen zur Verfügung, die für die Ökosysteme, für Ernährung, Gesundheit und Wohlergehen der Menschen ebenso unerlässlich sind wie für die Wirtschaft und für Innovationen.
Der Zusammenhang zwischen Biodiversität – etwa als natürliche Basis für Arzneimittel – und menschlicher Gesundheit und Wohlergehen ist offenkundig, wird in seinem Ausmaß jedoch oft unterschätzt. 50 % der in den letzten 30 Jahren zugelassenen Arzneimittel gehen direkt oder indirekt auf Naturstoffe zurück. Dabei stammen allein 70 % der zur Krebsbehandlung eingesetzten Medikamente direkt aus der Natur oder sind von ihr inspiriert. Schätzungen zufolge sind mehr als 4 Mrd. Menschen in erster Linie auf natürliche Heilmittel angewiesen.(1)
Ein grundlegender Zusammenhang besteht auch zwischen biologischer Vielfalt und Ernährungssicherheit. Über 75 % der Nahrungspflanzen sind von tierischen Bestäubern abhängig. Die genetische Vielfalt der Kulturpflanzenarten ist entscheidend für die Ernährung von mehr als 8 Mrd. Menschen. Die Erhöhung der Pflanzenvielfalt durch Fruchtfolgen, die Diversifizierung von Agrarlandschaften oder die Verwendung schädlingsresistenter Pflanzen kann die landwirtschaftliche Produktion und somit die Ernährungssicherheit erhöhen.
Biodiversität und Klima sind untrennbar miteinander verbunden und in hohem Maße voneinander abhängig. Meeres- und Landökosysteme binden 60 % der weltweiten anthropogenen Kohlenstoffemissionen.(2) Gleichzeitig beeinträchtigt die Degradation von Ökosystemen, z.B. durch Entwaldung, Trockenlegung von Mooren, Urbanisierung oder Umweltverschmutzung, die Kohlenstoffspeicher und Temperaturregulation.
Der Klimawandel gilt inzwischen als einer der Haupttreiber für den Rückgang der biologischen Vielfalt. Er führt zum Verlust geeigneter Lebensräume, zur Verschiebung von Verbreitungsgebieten und zur Verdrängung von Arten; bei einigen Arten werden zudem Toleranz- und Anpassungsgrenzen überschritten. Darüber hinaus verstärken landwirtschaftliche Bodennutzung und Degradation, direkte Übernutzung (z.B. Überfischung), Verschmutzung und invasive Arten den weltweiten Biodiversitätsverlust noch zusätzlich.
Diese Faktoren wirken nicht isoliert, sondern interagieren; sie haben additive, kumulative oder synergetische Auswirkungen auf Natur und Mensch, was zu nichtlinearen Veränderungen und vielfältigen Rückkopplungsschleifen führt.
Um das vom Menschen verursachte globale Massenaussterben zu beenden, ist ein Paradigmenwechsel erforderlich. Damit dieser gelingt, müssen wir unser Hauptaugenmerk auf die Multifunktionalität der Ökosysteme richten. Benötigt wird eine Mischung aus Maßnahmen zu ihrer Erhaltung und Wiederherstellung.
Der globale Wandel hin zu einer Wirtschaft, die Natur und biologische Vielfalt schützt und nachhaltig nutzt, erfordert umfassende politische Maßnahmen. Das kürzlich verabschiedete, bahnbrechende globale Rahmenwerk für die biologische Vielfalt (Global Biodiversity Framework, GBF) kann die Grundlage dafür bilden, den Verlust der Biodiversität zu verlangsamen oder sogar zu stoppen. Die Bedeutung dieses Vertrages sollte nicht unterschätzt werden. Für die Zukunft der Menschheit steht es sicherlich auf einer Stufe mit dem Pariser Abkommen von 2015.
"We often talk of saving the planet, but the truth is that we must do these things to save ourselves."
Sir David Attenborough, Tierfilmer und Naturforscher
Die Europäische Union ist weltweit führend in der Biodiversitätspolitik und -gesetzgebung, auch wenn die Nachhaltigkeitspolitik in letzter Zeit unter Druck geraten ist. Drei Initiativen – der European Green Deal, die EU-Biodiversitätsstrategie und das neue EU-Renaturierungsgesetz – verdeutlichen die europäischen Bemühungen, natur- und biodiversitätspolitische Ziele zu formulieren und diese in rechtliche Rahmenbedingungen für Unternehmen und den Finanzsektor umzusetzen.
Die entsprechenden Regelungen im Finanzsektor entwickeln sich weltweit in rasantem Tempo, ebenso wie multilaterale Abkommen und nationale Umsetzungen für Gesetzgebung und Besteuerung. Alle diese Maßnahmen zielen auf eine Neuausrichtung der Finanzströme ab und werden zu tiefgreifenden Veränderungen in vielen Wirtschaftssektoren führen. Dadurch werden neue Anreize, andere Einkommensquellen und weitere Grundlagen für Investitionsentscheidungen geschaffen.
Das größte und hochkomplexe Problem ist die Umsetzung. Wie können Lösungen gefunden werden, die sich positiv auf die biologische Vielfalt auswirken, die Zerstörung der Umwelt und von Lebensräumen verhindern und zugleich einen notwendigen wirtschaftlichen Nutzen bringen? Eine Schlüsselrolle spielen naturbasierte Lösungen (Nature based Solutions, NbS), bei denen die Natur für das nachhaltige Management und die Wiederherstellung von Ökosystemen genutzt wird, oder technologiebasierte Lösungen (Technology based Solutions, TbS), bei denen innovative Technologien zum Schutz, zur Wiederherstellung und Verbesserung der biologischen Vielfalt und von Ökosystemleistungen zum Einsatz kommen. Ein dritter Ansatz sind hybride Lösungen, also eine Kombination aus naturbasierten und technologischen Lösungen.
Der sogenannte Footprint, Handprint, Heartprint-Ansatz stellt eine pragmatische Möglichkeit für Unternehmen dar, sich auch die Chancen von Biodiversitätsmaßnahmen bewusst zu machen und damit über Risikoanalysen und das Einhalten von Vorschriften hinauszugehen. Ziel ist es, negative Auswirkungen zu verringern (Footprint), positive Auswirkungen zu erhöhen (Handprint) und transformativen Impact zu schaffen (Heartprint).
Finanzinstitute sind als Konsequenz der Abhängigkeit der Wirtschaft von der Natur einerseits direkt von den physischen Risiken betroffen. Andererseits sind dieselben Finanzmarktakteure langfristigen Übergangsrisiken ausgesetzt, die sich aus den negativen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten gegenüber der Natur ergeben. Aufgrund der Nachfrage von Investoren und der Notwendigkeit, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, entsteht ein immer breiteres Feld vielfältiger Anlagemöglichkeiten in allen Anlageklassen.
Biodiversitäts-Zertifikate können vielversprechende Instrumente sein, um die Finanzierungslücke im Natur- und Umweltschutz zu schließen. Sie können für verschiedene Zwecke eingesetzt werden: um die Wirksamkeit von CO2-Ausgleichszahlungen zur Verbesserung des Zustands von Natur und Umwelt zu verstärken, als wirtschaftlicher Anreiz für die nachweisliche Verbesserung der Umweltverträglichkeit von Produkten oder als freiwilliger Beitrag, mit dem Unternehmen ihr Engagement dokumentieren. Entscheidend für den Erfolg werden jedoch Faktoren wie künftige globale Standards und zuverlässige Überprüfungssysteme sein, um „Greenwashing“ und fragwürdige Kompensationspraktiken zu vermeiden.
Mischfinanzierungen (Blended Finance) sind ein bekanntes Mittel, um gezielt in Naturschutz- und Renaturierungsmaßnahmen zu investieren. Durch die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen und privaten Investoren werden Größenvorteile und Risikominderungen in den investierten Projekten erzielt.
Eine vielversprechende Anlagemöglichkeit, die auch den Erwartungen und Vorgaben von Großanlegern gerecht wird, sind sogenannte Labelled Bonds. Es wird erwartet, dass nationale Entwicklungsbanken und supranationale Institutionen sowie Unternehmen in zunehmendem Maße Anleihen mit einem spezifischen Umweltfinanzierungszweck nutzen werden.
Technologiebasierte Innovationen im Bereich der „Private Markets“ bieten renditestarke Anlagemöglichkeiten, die für renditeorientierte Investoren attraktiv sind. Durch Investitionen in blaue und grüne Technologien können Anleger nicht nur nachhaltige Rendite erzielen, sondern auch die Bodengesundheit verbessern, die Wassernutzung optimieren, die Kohlenstoffemissionen verringern oder zur Wiederherstellung der Natur und der Meere beitragen.
Sogenannte „Dual-Use“-Infrastrukturprojekte (Projekte mit Doppelnutzen) können eine vielversprechende Möglichkeit sein, in erneuerbare Energien zu investieren und gleichzeitig die biologische Vielfalt zu fördern. Dies trägt nicht nur zur Eindämmung des Klimawandels bei, sondern wirkt sich zudem positiv auf die Ökosysteme aus. So kann beispielsweise die Kombination von Offshore-Windkraftanlagen mit Aquakulturen mit niedrigem Nährstoffgehalt nachhaltige Energie, nahrhafte Meeresfrüchte und gleichzeitig die Wiederherstellung von Ökosystemleistungen gewährleisten.
Direktinvestitionen in Land- und Forstwirtschaft sollten sich auf regenerative Bewirtschaftungsformen fokussieren. Diese Form der Bewirtschaftung zielt auf die Regeneration des Bodens, die Verbesserung des Wasserkreislaufs und die Förderung der biologischen Speicherung von CO2, z. B. in Form von Biomasse, um die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen und die Gesundheit und Vitalität des Bodens zu stärken.
"Angesichts eskalierender Artenverluste ist der Schutz und die Erhaltung planetarer Ökosysteme unerlässlich. Die globale Finanzindustrie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten."
Dr. Heinz-Werner Rapp, Gründer & Leiter des FERI Cognitive Finance Institute
Was die Messung und Erfassung von Biodiversitätsdaten angeht, besteht ein wachsender Bedarf an standardisierten Methoden und Reportings, die die Auswirkungen von Finanzinstrumenten auf die Artenvielfalt erfassen.
Grundsätzlich gibt es bereits eine Vielzahl wissenschaftlich fundierter Messverfahren. Durch moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain und Satellitendaten können und werden diese Messverfahren in Zukunft noch sehr viel besser werden. Die wichtigste Orientierung für Unternehmen und Investoren ist die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) als globaler Rahmen für die Offenlegung ihrer finanziellen Abhängigkeiten von der Natur und – umgekehrt – ihre Auswirkungen auf die Natur.
Ein sehr wichtiger Motor für den Wandel in den traditionellen Wirtschaftssektoren, insbesondere in der Landwirtschaft, ist die Verschiebung der Prioritäten in der politischen Kultur und in der Gesetzgebung.
Angesichts der Tatsache, dass nationale Gesetzgebungen gezielt auf die Umsetzung des Global Biodiversity Framework (GBF), der Sustainable Development Goals (SDG) und sogar konkreter Richtlinien für nachhaltige Investitionen (EU-Taxonomie) ausgerichtet werden, muss das Feld der strategischen Investitionsentscheidungen neu geordnet werden.
Zusätzlich zu den sich abzeichnenden Naturschutzinitiativen, sind sich Banken, Versicherer und Investoren zunehmend bewusst, dass ihre finanziellen Aktivitäten einen großen Einfluss auf die Gesundheit der Natur haben: Denn alles hängt mit allem zusammen – von der Wirtschaft bis zu den Ökosystemen, von der Industrie bis zur biologischen Vielfalt.
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Die komplette rund 100-seitige Studie kann hier oder per E-Mail an info@feri-institut.de kostenlos bestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
Das FERI Cognitive Finance Institute versteht sich als kreativer Think Tank und beantwortet wirtschaftliche und strategische Fragestellungen. Die Rolle des FERI Cognitive Finance Institute beschränkt sich hier auf Herausgabe und Publikation. Alle dargestellten Inhalte liegen vollständig in der Verantwortung der Autoren. Dies ist eine ins Deutsche übersetzte, aktualisierte und ergänzte Auflage.
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