Eine klassische Diskussion an den Märkten dreht sich um die Frage, ob bei diskretionären Anlagestrategien technische oder fundamentale Ansätze besser funktionieren. Das ist allerdings nicht Thema des eingangs genannten Winton-Artikels. [1] Denn dort wird versucht, analog dazu eine Einschätzung auf systematischer Ebene zu treffen. Konkret werden demnach klar definierte, kursbasierte Konzepte wie etwa Trendfolgestrategien mit ebenfalls systematischen, aber mittels Fundamentaldaten entwickelten Modellen verglichen.
Schwammige Fundamentaldaten
Das entscheidende Problem: Fundamentale Daten sind anders als tatsächlich gehandelte Kurse und Umsätze mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. So können einzelne Datenpunkte ungenau sein und müssen später eventuell deutlich korrigiert werden. Dies kann bereits in der Phase der Strategieentwicklung einen erheblichen Einfluss haben, was etwa die Verlässlichkeit eines Backtests angeht, der nicht auf hochwertigen Point-In-Time-Daten beruht.
Winton argumentiert nun, dass sich durch Corona die Aussagekraft vieler Wirtschaftsdaten erheblich verschlechtert hat. Der Beinahe-Stillstand im Shutdown, ein gleichzeitiger Angebots- und Nachfrageschock sowie extreme Datenpunkte in den Statistiken zu Beschäftigung und anderen Wirtschaftsindikatoren sind einzigartige Ereignisse, die bisher als solide erachtete Zusammenhänge aus den Angeln heben können. Hinzu kommt der enorme Einfluss der Geld- und Fiskalpolitik. Dem Artikel zufolge gab es nur in den 1940er Jahren eine annähernd vergleichbare Situation infolge des Zweiten Weltkriegs.
Die schnellen und extremen Veränderungen der Weltwirtschaft machen es Winton zufolge noch schwieriger als zuvor, anhand von Fundamentaldaten einen systematischen Vorteil zu erzielen. So sind beispielsweise die Entwicklung der Unternehmensgewinne und damit die Aktienkurse in hohem Maße davon abhängig, ob und wie stark Zentralbanken und Politik (weiter) intervenieren. Dabei spielen gerade für die Aktienkurse auch die entsprechenden Erwartungen eine große Rolle. Diese lassen sich anhand des tatsächlichen Kursverlaufs viel schneller und direkter beurteilen, als es mit potenziell ungenauen, nachlaufenden Fundamentaldaten möglich ist.
Die genannten Nachteile sprechen schon grundsätzlich eher gegen fundamentale Strategien – aber im aktuellen Marktumfeld ganz besonders. Allein die Spannweite einiger viel beachteter Schätzungen für das laufende Jahr sprengen den bisherigen Rahmen. Das ist für alle Asset Manager eine neue Herausforderung, aber ganz besonders für jene, die Modelle auf Basis von Wechselwirkungen in Fundamentaldaten anwenden. Bisher als grundlegend erachtete, stabile Zusammenhänge könnten aufgeweicht oder sogar irrelevant werden. Das würde bedeuten, dass die entsprechenden Modelle grundsätzlich infrage gestellt wären.