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2021

So können Quants ihr volles Potenzial entfalten.

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Quant-Teams sind bei vielen Asset Managern schlecht aufgestellt. Das liegt aber weniger an den grundsätzlichen „Übeln“, mit denen sie es am Markt zu tun haben, sondern an ungünstigen Organisationsstrukturen. Hier ist eine tragfähige Lösung gefragt. Im September 2021 hielt Professor Marcos López de Prado im Rahmen der Konferenz „AI & Data Science“ eine interessante Keynote-Präsentation, die er auch veröffentlichte. [1] Basierend auf den Unterlagen fassen wir seine Einschätzungen zusammen und zeigen einen Lösungsansatz.

Die fünf „Übel“

Zunächst fasst de Prado die fünf großen Probleme zusammen, mit denen sich Quants herumschlagen müssen. Für diese gibt es keine endgültige Lösung, und man kann ihnen auch nicht aus dem Weg gehen. Stattdessen muss man lernen, bestmöglich mit ihnen zurecht zu kommen.

1) Schranken für Experimente:

Ein grundlegendes Prinzip der Wissenschaft ist die empirische Falsifikation. In den Naturwissenschaften wird dies durch kontrollierte Experimente ermöglicht. In der Finanzindustrie ist das aber in den seltensten Fällen möglich. Denn wir können nicht etwa den Flash Crash vom Jahr 2010 wiederholen und dabei den Einfluss bestimmter Gruppen von Marktteilnehmern ausblenden, da diese interagieren. Deshalb ist es sehr schwierig, klare Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung zu bestimmen.

2) Nichtstationarität der Finanzmärkte:

Zum einen gibt es Strukturbrüche, die durch regulatorische Änderungen oder unvorhersehbare Ereignisse (Schwarze Schwäne) entstehen. Zum anderen können Parameter, die den grundlegenden Prozess zur Generierung der Kursdaten betreffen, einem Drift unterliegen, zum Beispiel durch den Wettbewerb der Unternehmen. Selbst dann, wenn Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung festgestellt werden, kann sich deren Intensität also im Lauf der Zeit erheblich verändern.

Abbildung 1) Nichtstationarität
In diesem Beispiel kommt es nach 250 Beobachtungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu einem Strukturbruch. Anschließend ergeben sich entweder die grünen oder die roten Verläufe. Das Problem besteht darin, den Bruch so schnell, aber auch so sicher wie möglich zu erkennen.
Quelle: de Prado, M. L. (2021), Escaping The Sisyphean Trap: How Quants Can Achieve Their Full Potential, S. 9

3) Rigoroser Wettbewerb (Nullsummenspiel):

Der harte Wettbewerb unter den Marktteilnehmern verschlechtert das Verhältnis von tatsächlichem Signal zu bloßem Rauschen. Die Wahrscheinlichkeit, profitable Strategien zu finden, ist deshalb äußerst gering. Und falls man doch Alpha entdeckt, ist es in den meisten Fällen nur begrenzt skalierbar und/oder schnell rückläufig. Das zeigt sich auch daran, dass die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen deren künftige Validität beeinflusst.

Falsche Positive
Abbildung 2) Falsche Entdeckungen dominieren
Angenommen die Wahrscheinlichkeit, dass eine getestete Strategie profitabel ist, beträgt ein Prozent. Bei der üblichen, in Signifikanztests verwendeten Schwelle von fünf Prozent sowie einer (optimistischen) statistischen Power von 80 Prozent ist zu erwarten, dass man bei 1000 Versuchen insgesamt 58 Entdeckungen macht. Davon wären acht richtig-positive und 50 falsch-positive Ergebnisse. Mit anderen Worten: Rund 86 Prozent wären falsch!
Quelle: de Prado, M. L. (2021), Escaping The Sisyphean Trap: How Quants Can Achieve Their Full Potential, S. 10

4) Komplexität des Systems:

Die Ökonometrie wurde entwickelt, um relativ einfache Prozesse zu modellieren. Sie setzt voraus, dass man die prädiktiven Variablen und die Funktionsform einschließlich aller Interaktionseffekte kennt. Ist das nicht der Fall oder ist die Funktion nicht korrekt, können echte prädiktive Variablen als falsch-negativ abgelehnt und falsche als falsch-positiv akzeptiert werden. Die (angebliche) Kenntnis der Funktion sollte deshalb nicht vorausgesetzt werden. Denn diese kann in Wahrheit hochdimensional sein – oder sogar unmöglich zu ermitteln.

5) Kleine Stichproben:

Finanzdaten sind oft kurze Zeitreihen mit wenigen Variablen und hohen gegenseitigen sowie seriellen Abhängigkeiten. Deshalb werden häufig Schlussfolgerungen aus kleinen Stichproben gezogen, was mit starkem Overfitting von Trainings- und Testdaten einhergeht. Und das bedeutet, dass statistische Tests bei den standardmäßig verwendeten Konfidenzniveaus eine geringe Aussagekraft, einen hohen Anteil falsch-negativer Ergebnisse sowie viele falsche Entdeckungen aufweisen. Als Beispiel dafür nennt der Kapitalmarktprofi Mark Rzepczynski die unzähligen Konjunkturanalysen, die weitgehend nur auf acht solchen Zyklen seit 1970 basieren. Wie signifikant können diese Untersuchungen wirklich sein? [2]

Problematische Strukturen

Traditionelle Asset Manager setzen oft auf kleine, unabhängige Quant Teams, die nicht zusammenarbeiten, sondern um die Allokation von Kapital konkurrieren. Das Ziel dabei ist, durch Wettbewerb eine Diversifikation zu erreichen. Allerdings leidet diese Struktur unter verschiedenen Problemen:

  • mangelnde Forschungstiefe, da Teams meist aus Generalisten bestehen
  • nicht wiederverwendbares Wissen, wenn das geistige Eigentum den Teams gehört
  • keine Mechanismen zur Selbstkorrektur wegen fehlender Zusammenarbeit
  • Anreize für falsch-positive Ergebnisse infolge des Wettbewerbs

Die Schlussfolgerung daraus ist, dass klassische Silo-Strukturen bzw. Plattformen für wissenschaftliche Talente nicht optimal sind, da sie das Potenzial der Quant Teams einschränken.

Sisyphus-Arbeit

In der Folge kann es passieren, dass solche Teams immer wiederkehrende, sinnlose Aufgaben wie bloßes Backtesting ausführen, die zu einem endlosen Kreislauf falscher Entdeckungen führen. Ein guter Vergleich dazu ist die Sisyphusarbeit, die einer Sage der griechischen Mythologie entstammt. Damit ist eine Arbeit gemeint, die nicht nur ertragslos und schwer ist, sondern auch niemals erledigt sein wird, da man immer wieder von vorne anfangen muss. [3]

Um bestmöglich mit den fünf Übeln der Finanzmarktforschung zurechtzukommen, sind de Prado zufolge Co-spezialisierte Teams erforderlich. Eine Arbeitsteilung ist dabei essenziell, um die in wissenschaftlichen Methoden verankerten Kontrollmechanismen wie etwa Peer Review und empirische Falsifikation umzusetzen. Wie sieht also sein Lösungsvorschlag aus?

Interdisziplinär besetzte Teams, die sich fortlaufend mit neuen Ideen und Anpassungen bestehender Strategien befassen, sind ein vielversprechender Ansatz, um auf lange Sicht in diesem dynamischen, nichtlinearen Umfeld bestehen zu können.

Das Fließbandprinzip

De Prado plädiert für das bewährte Fließbandprinzip. Als Vorbild nennt er Prof. Ernest Lawrence, der im Jahr 1931 das Berkeley Lab als Forschungsfabrik gründete. Dort sollten interdisziplinäre Teams von Wissenschaftlern Probleme lösen, die an Universitäten nicht gelöst werden konnten. Die Idee führte vom Manhattan Project (Entwicklung der ersten Nuklearwaffen während des Zweiten Weltkriegs) über Big Science (industriell betriebene Wissenschaft) bis hin zum Netzwerk der National Laboratories des Energieministeriums in den USA mit einer Rekordzahl von mehr als 100 Nobelpreisen.

Der Prozess lässt sich, adaptiert für den Quant-Bereich, in drei Schritten zusammenfassen:

1) Das Forschungsteam definiert eine Strategie, die auf einer falsifizierbaren Investmenthypothese beruht

2) Das Testteam führt unabhängige Rückrechnungen der Strategie durch und prüft, ob die vorgeschlagenen Argumente tragfähig sind

3) Das Produktionsteam erstellt den Code, berechnet die Allokationen der Strategie, überwacht die Performance und führt die täglichen Transaktionen durch

Investment-Fließband
Abbildung 3) Struktur eines „Investment-Fließbands“
Die Fließbandforschung schafft ein Gleichgewicht zwischen Kreativität und Planbarkeit, was das Erzielen von Durchbrüchen in einem vorhersehbaren Tempo sowie eine ständige Erneuerung bestehender Strategien fördert. Das Prinzip ermöglicht zudem Skalierbarkeit, eine unabhängige Validierung und das Wiederverwenden von Wissen.
Quelle: de Prado, M. L. (2021), Escaping The Sisyphean Trap: How Quants Can Achieve Their Full Potential, S. 19

Im Fließband-Paradigma lässt sich die entscheidende Eigenschaft der Co-Spezialisierung darstellen: Die einzelnen Teilnehmer verfügen über tiefgreifende technische Fähigkeiten, statt eine Strategie oder eine ganze Anlageklasse zu beherrschen, und sind Teil eines interdisziplinären Teams. Wissenschaftliche Protokolle gewährleisten dabei die klare Trennung zwischen Forschung und Peer Review, wodurch das Überoptimieren von Backtests vermieden wird. Die Hierarchien sind flach und es bestehen zahlreiche Kontrollen, Gegenkontrollen und Selbstkorrekturmechanismen an jeder Station.

Fazit

Die Idee, eine systematische Strategie zu entwickeln, mit einem Backtest zu verifizieren und dann dauerhaft zu anzuwenden, ist nicht mehr zeitgemäß. Dafür sind die Märkte heute viel zu dynamisch – die Spielregeln ändern sich ständig und nichts scheint im Zeitablauf wirklich stabil zu sein. Das liegt in der Natur der Sache: Die Kurse an den Märkten basieren auf diskontierten Erwartungen, die von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst werden, die sich wiederum dauernd verändern.

Interdisziplinär besetzte Teams, die sich fortlaufend mit neuen Ideen und Anpassungen bestehender Strategien befassen, sind vor diesem Hintergrund ein vielversprechender Ansatz, um auf lange Sicht in diesem dynamischen, nichtlinearen Umfeld bestehen zu können.

Quellen

[1] de Prado, M. L. (2021), Escaping The Sisyphean Trap: How Quants Can Achieve Their Full Potential, School of Operations Research & Information Engineering (ORIE), Cornell University
[2] Rzepczynski, M. (2021), Five Financial Research Curses – They Cannot Be Avoided, https://mrzepczynski.blogspot.com/2021/09/five-financial-research-curses-they.html, Zugriff am 04.11.2021
[3] Wikipedia (2021), Sisyphos, https://de.wikipedia.org/wiki/Sisyphos, Zugriff am 05.11.2021

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