Teilen Sie diesen Artikel & Unterstützen Sie unsere Mission Alpha for Impact
25
05
2022

Der große Bärenmarkt für US-Anleihen.

Post by 
Charles Gave
Einige Menschen haben in letzter Zeit zu mir gesagt, sie seien beeindruckt von der Widerstandsfähigkeit der globalen Finanzmärkte, wenn man die schlechte Nachrichtenlage in Betracht zieht. Offensichtlich haben diese Menschen die Entwicklung an den Anleihemärkten der Industrieländer nicht verfolgt.


Seit dem Höhepunkt der Hausse an den Anleihemärkten am 9. März 2020 weist eine 30-jährige US-Staatsanleihe eine negative Gesamtrendite von 50% auf (siehe Abbildung 1). Dies ist in jeder Hinsicht bemerkenswert und erfüllt mein Kriterium für einen großen Ursus magnus-Bärenmarkt (lat. Ursus Magnus = Großer Bär, Anmerkung der Redaktion). Renditen in lokaler Währung für langlaufende Staatsanleihen in Deutschland, Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich sind nicht weit davon entfernt. Darüber hinaus ist der Index für die Volatilität der Anleihemärkte der Industrieländer in einer Zeit, in der die Renditen steigen, nach oben explodiert. Dies ist etwas, das wir seit 1979-80 nicht mehr beobachtet haben.

Alle Paniken am Anleihemarkt der letzten Jahrzehnte waren Kaufpaniken. Dies ist die erste Verkaufspanik seit über einer Generation.

Jetzt, wo die Kurse abstürzen und die Volatilität in die Höhe schießt, gibt es sicherlich Handelsmöglichkeiten an den Anleihemärkten, wie die jüngsten Bankgewinne gezeigt haben. Aber ich war noch nie besonders gut im Abgeben von Handelsempfehlungen. Also werde ich der Versuchung widerstehen - auch wenn ich glaube, dass bei einem echten Aktienmarktcrash die langfristigen US-Anleihen anziehen würden. Dennoch stelle ich mir angesichts des Ausmaßes der Talfahrt an den Anleihemärkten zwangsläufig die Frage, ob die Bondmärkte der Industrieländer einen Punkt erreicht haben, an dem längerfristige Anleger wieder Käufe in Betracht ziehen könnten. Die Antwort ist ein klares Nein.

Um herauszufinden, warum das so ist, müssen wir erneut auf die Arbeit des großen Ökonomen aus dem 19. Jahrhunderts, des schwedischen Wirtschaftswissenschaftlers Knut Wicksell, zurückgreifen. Wicksell argumentierte, dass für jede Wirtschaft zwei Zinssätze wirklich wichtig sind. Der erste ist der Marktzins, für den die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen ein angemessener Indikator ist. Der zweite ist der natürliche Zinssatz, der der langfristigen Wachstumsrate der Unternehmensgewinne entspricht, die ihrerseits der langfristigen Wachstumsrate des BIP entsprechen muss.

Abbildung 1) 30-jährige US Anleihe vs. Anleihen-Vola-Index
Quelle: Gavekal

In einer idealen Welt liegt der Marktzins so nahe wie möglich am natürlichen Zinssatz. Diese Konstellation fördert stabiles Wachstum, da es keinen Anreiz gibt, sich zu verschulden und Finanz-Engineering zu betreiben (wie bei einem zu niedrigen Marktzins). Auch gibt es keinen Anreiz, auf Investitionen zu verzichten, um Schulden zu tilgen (wie wenn der Marktzins zu hoch ist). Ist also der Marktzins im Vergleich zum natürlichen Zinssatz zu niedrig, führt dies zu Inflation. Ist er zu hoch, führt er zu Deflation und Depression. Werfen Sie einen Blick auf die nachstehende Abbildung 2.

Die rote Linie ist der Ausgabepreis einer 10-jährigen US-Schatzanweisung mit Nullkupon, was dem Marktzins entspricht. Die schwarze Linie zeigt, wo der Preis liegen würde, wenn er vom natürlichen Zins (der durchschnittlichen 10-jährigen nominalen Wachstumsrate des BIP) diktiert würde.

  • Wenn die rote Linie über der schwarzen Linie lag, waren die langfristigen Zinsen zu niedrig. Und wenn die langfristigen Zinssätze zu niedrig waren, kam es im Allgemeinen zu einem Anstieg der Inflation (dargestellt durch die blaue Linie). Die Ausnahmen waren entweder, wenn es einen Konjunkturabsturz gab oder wenn der Ölpreis aus dem Ruder lief.
  • Wenn die rote Linie unter der schwarzen Linie lag, waren die langfristigen Zinsen zu hoch. Diese führte zu einem Rückgang der Inflationsrate, und die Ölpreise stürzten schließlich ab, wie im Jahr 1986.
  • Wenn die rote Linie eng an der schwarzen Linie lag, befand sich die Wirtschaft in einer Phase, die man als Wicksell'sche Periode bezeichnen kann. Die einzigen Unternehmen mit Zugang zu Kapital waren diejenigen, deren Rendite auf das investierte Kapital höher war als die Kapitalkosten. Diese hatten daher keine Probleme, ihre Schulden zurückzuzahlen. Das Ergebnis war ein stabiles Wachstum bei abnehmender Inflation. Das beste Beispiel dafür war die so genannte "große Moderation" von 1986 bis 2003, die von Paul Volcker eingeleitet und von Alan Greenspan fortgesetzt wurde. Diese überraschte alle, obwohl es das völlig vorhersehbare Ergebnis der Verfolgung einer Wicksell'schen Politik war.
10 year yield vs inflation
Abbildung 2) Nullkuponanleihe vs. 10-jährige Rendite und Inflationsrate
Quelle: Gavekal

Wo stehen wir heute? Jahrelang war der Marktzins im Vergleich zum natürlichen Zinssatz zu niedrig. Der zu erwartende Anstieg der Inflation wurde aber durch die Finanzkrise 2008-09, dann durch die Eurokrise 2011-12 und schließlich durch den Einbruch des Ölpreises 2014-15 von 115 USD/Barrel auf 28 USD/Barrel zurückgehalten. Durch die niedrige Inflationsrate ermutigt, reagierten die Zentralbanker auf die Covid-Krise, indem sie Geld in noch nie dagewesenem Umfang druckten. Dieses Mal ging die Inflation durch die Decke, weil das Angebot an Waren und Dienstleistungen zurückging, während die Nachfrage zusammen mit den Ölpreisen anzog.

Wo sollten also die Zinssätze heute liegen, damit sich die Inflation stabilisiert oder strukturell sinkt - eine notwendige Bedingung für die Wiederaufnahme der Hausse? Die Antwort ist einfach: Wenn die rote Linie fällt und sich der schwarzen Linie annähert, wird der Marktzins mit dem natürlichen Zinssatz übereinstimmen. Dies entspricht einem Anstieg der Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen auf 4% bis 4,5%.

Heute liegt die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen bei 2,9 %, was bedeutet, dass die Renditen um mindestens 100 Basispunkte mehr steigen müssen, um das System wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Ich erwarte also nicht, dass ich meine Verkaufsempfehlung für den US-Anleihemarkt zurücknehme, bis die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen bei etwa 4,25 % liegen. Und ich werde keine Kaufempfehlung aussprechen, bis die 10-jährige Rendite wieder über 5% liegt. Natürlich sind die Bewegungen an den Anleihemärkten nicht isoliert zu sehen, daher werde ich in meinem nächsten Beitrag mit den damit verbundenen Auswirkungen auf den US-Aktienmarkt beschäftigen. Behalten Sie diesen Bereich im Blick.

Quellen

Sie möchten diesen Beitrag – komplett oder in Auszügen – für Ihre Zwecke verwenden? Dann berücksichtigen Sie bitte die folgende Creative Commons-Lizenz.